Die Fachkräftestrategie des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales sendet ein starkes Signal: Denn der Fachkräftemangel kann schon bald die Sicherung grundlegender Infrastruktur im Land gefährden. Eine konzertierte Anstrengung von Gesetzgeber und Arbeitgeber/innen ist da dringend notwendig. Doch wird das reichen?
In der vergangenen Woche hat das Kabinett die Fachkräftestrategie des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales verabschiedet: Das Maßnahmenpaket sieht Anstrengungen in fünf Schlüsselbereichen vor. Zwar sendet die Strategie ein wichtiges Signal in Richtung Wirtschaft, doch die komplexen Ursachen des Fachkräftemangels werden sich damit nicht beheben lassen.
Fachkräftemangel wird zum Härtetest für Wirtschaft und Gesellschaft
Eigentlich ist es kein neues Thema – der Fachkräftemangel wird seit Jahrzehnten prognostiziert. Der demographische Wandel, die Digitalisierung und der Trend zur Dekarbonisierung verschärfen den Hunger nach Fachkräften, die nie geboren wurden. In diesem Jahrzehnt gehen die geburtenstarken Babyboomer-Jahrgänge in Rente – und es kommt kaum jemand nach.
Dies ist problematisch, denn wenn Positionen in der Verwaltung, in Unternehmen und der Nahversorgung nicht mehr gefüllt werden können, droht zunächst die Stagnation – und dann der Rückschritt. Wer sich fragt, was das bedeutet, kann einen Blick in die Engpassanalyse der Bundesagentur für Arbeit (BA) werfen. Die BA berechnet dabei anhand von sechs Kriterien die Fachkräfteengpässe in unterschiedlichen Berufen. Vorne mit dabei: Berufe im Tiefbau, bei der Leitungsinstallation, der Pflege sowie der Heizungs- und Sanitärtechnik.
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Mangel für die grundlegende Infrastruktur
Alles Berufe, die unsere grundlegende Infrastruktur sichern und eine Bedingung sind, um beispielsweise bezahlbaren Wohnraum in Ballungsgebieten zu schaffen. Ohne Arbeitskräfte werden essenzielle Transformationen und Fortschritte in der Digitalisierung (z.B. der Glasfaserausbau), in der Qualität von Bildungseinrichtungen (z.B. die Sanierung von Toiletten) und beim Klimaschutz (z.B. der Ausbau erneuerbarer Energien) verschleppt.
Mit der Fachkräftestrategie soll dies verhindert werden. Das Bundesarbeitsministerium setzt darauf, gemeinsam mit den Sozialpartnern, Kammern und Bildungsträgern neue Möglichkeiten zu schaffen. Die Fachkräftestrategie sieht daher vor, in folgenden fünf Punkten anzupacken:
- Zeitgemäße Ausbildung
- Gezielte Weiterbildung
- Erwerbsbeteiligung erhöhen (insbesondere von Müttern)
- Verbesserung der Arbeitsqualität und Wandel der Arbeitskultur
- Qualifizierte Einwanderung begünstigen
Dass auf Bundesebene mit allen Akteuren des Arbeitsmarkts aktiv daran gearbeitet werden soll, dass die Fachkräftesituation sich bessert, sendet ein starkes Signal. Es sind hier viel mehr Anstrengungen nötig, das ist allen Beteiligten klar. Wenn eine Symbiose zwischen BA und Arbeitgebern gelingt, um Arbeitskräfte effektiv zu qualifizieren und wenn Kammern und Arbeitgeber Ausbildungspläne zügig modernisieren, können einige Löcher des Fachkräftemangels gestopft werden. Doch es ist fraglich, wie viel die Strategie tatsächlich dazu beitragen kann.
Die Strategie allein wird nicht reichen
Nehmen wir das Beispiel qualifizierte Einwanderung. Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung und der OECD ist Deutschland für ausländische Fachkräfte nur mäßig attraktiv. Die Abwertung ausländischer Abschlüsse ist dabei eine große Bremse. Um die Attraktivität Deutschlands zu erhöhen, bedarf es massiver Investitionen in die Digitalisierung der Bürokratie und in ein positiveres Image mit Hinblick auf Zuwanderung.Ob Deutschland dieses Image jedoch pflegen kann, ist fraglich: Trotz des Fachkräftebedarfs könnte das Thema Migration zu Ablehnung in der Gesellschaft führen.
Ähnlich ernüchternd dürfte die Prognose bei der Erhebung der Erwerbstätigkeit von Müttern werden. Dafür braucht es neben flächendeckenden Kita-Angeboten auch flexible Arbeitsmodelle, die Abkehr von der 40-Stunden-Woche als Ideal und einen Kulturwandel, nach welchem arbeitende Mütter nicht als „Rabenmütter“ verunglimpft werden. Jede dieser Baustellen ist komplex und nur über einen längeren Zeitraum zu beackern.
Kulturwandel kann man nicht verordnen
Die Fachkräftestrategie zielt auf sinnvolle Maßnahmen ab, ohne Frage. Aber weil hinter jedem Punkt komplexe Probleme stehen, reicht die Strategie allein nicht. Es braucht eine Kampagne, die Gesellschaft und Wirtschaft gleichermaßen durchdringt. Den notwendigen Kulturwandel kann man nämlich nicht top-down implementieren – er bedarf die Anstrengung Aller.
Alice Greschkow ist Politikwissenschaftlerin mit Leidenschaft für New Work. Sie lebt und arbeitet seit 2015 in Berlin und verbindet beruflich politische und wirtschaftliche Themen.
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