Alice Greschkow hat sich die Wahl-Programme der großen Parteien vorgenommen und sie unter dem Blickwinkel der Gestaltung unserer Arbeitswelt analysiert. In Teil 3 und damit im letzten Teil analysiert sie die Grünen und die Liberalen und wie sie sich die nahe Zukunft unserer Arbeit vorstellen.
Grüne und FDP präsentieren sich gern als liberale Parteien, allerdings aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Bei den Grünen liegt der Akzent oft auf humanitären Menschenrechten im internationalen Kontext, sozialliberalen Lebensmodellen und natürlich ökologisch nachhaltigen Zielen. Die FDP fokussiert sich auf Bürgerrechte innerhalb des Nationalstaates, jedoch verknüpft mit einer marktliberalen Gesinnung. Wie möchten sie die Zukunft der Arbeit auf Grundlage ihres jeweiligen liberalen Verständnisses umwandeln? Die Wahlprogramme verraten es.
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Grüne: Vage Selbstbestimmung
Der Schwerpunkt des Wahlprogramms der Grünen liegt auf der Mobilitätswende, grüner Wirtschaft und nachhaltiger Landwirtschaft. Im Abschnitt zu Arbeit bleiben die Grünen vergleichsweise vage. Sie begrüßen kürzere Arbeitszeiten, ohne eine Zielgröße zu nennen und bekennen sich gleichzeitig zur Vollbeschäftigung.
Die Grünen möchten den Mindestlohn auf 12 Euro anheben und ein Recht auf mobiles Arbeiten samt Arbeitsschutzmechanismus durchsetzen. Darunter fassen die Grünen sowohl den Schutz vor arbeitsrechtlichem Missbrauch, als auch den Schutz vor Burnout, Stress und Mobbing am Arbeitsplatz. Auch sie möchten Co-Working-Spaces im ländlichen Raum stärken. Die Arbeitslosenversicherung soll zu einer Arbeitsversicherung entwickelt werden, die Qualifizierungsmöglichkeiten unterstützt. Der Rechtsrahmen für Crowd- und Gigworker soll gesichert werden. Scheinselbstständigkeit möchte die Partei bekämpfen, während der Rechtsrahmen für Soloselbstständige gestärkt werden soll, sie sollen einen besseren Zugang zu Kranken- und Altersabsicherung sowie ein Kurzarbeitergeld in Notsituationen erhalten.
Die Grünen fordern zudem mehr Flexibilität und Selbstbestimmung bei den Arbeitszeiten, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern, allerdings formulieren sie keine konkreten Vorschläge dafür aus. Die Partei sieht die Sozialpartner als wichtigen Hebel für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und dem Kampf für faire Löhne.
Die Arbeitspolitik der Grünen steht in einer linken Tradition: Sozialpartner sollen eingebunden werden, der Schutz der Beschäftigten ist vordergründig und auch die soziale Absicherung von Menschen mit niedrigem Einkommen. Doch man merkt, dass die Grünen im Ressort Arbeit bisher nur wenig gestaltet haben. Sie regieren gegenwärtig in sieben Ländern mit und stellen lediglich in Hessen mit Kai Klose den Minister für Soziales und Integration. Während bei den Kernthemen wie der Mobilitätswende mutige Strategien deutlich werden, gelingt den Grünen in punkto Zukunft der Arbeit kein großer Wurf. Ihr Programm ist solide, aber die Ambition der anderen Ressorts fehlt.
FDP: Individuelle Verhandlungen für eine moderne Arbeitswelt
Man hat beim Wahlprogramm der FDP das Gefühl, dass die Partei sich bei einigen Details zum mobilen Arbeiten besonders detailliert eingearbeitet hat. Grundsätzlich ist die FDP für mobiles Arbeiten durch einen „Rechtsanspruch auf Erörterung“ nach niederländischem Vorbild. Das bedeutet, dass Beschäftigte das Recht darauf haben sollen, mobiles Arbeiten einzufordern. Diese Forderung muss geprüft werden und kann nur bei triftigen Gründen abgelehnt werden – beispielsweise wenn eine Tätigkeit nicht umfänglich mobil geleistet werden kann. Dieser Vorschlag grenzt sich deutlich vom SPD-Vorschlag ab, der 24 Tage mobiles Arbeiten rechtlich sichern möchte, sofern der Job dafür geeignet ist. Die Liberalen gehen einen Schritt weiter: Sollte eine Tätigkeit einmal als mobile Tätigkeit anerkannt werden, gibt es keine zeitliche Begrenzung laut Wahlprogramm. Wer einmal das Okay vom Chef erhalten hat, kann endlos viele Tage mobil arbeiten.
Passend dazu betont die FDP, dass im Home-Office das Arbeitsschutzgesetz und nicht die Arbeitsstättenverordnung gelten soll – letztere beinhaltet nämlich Anforderungen für die korrekte Einrichtung eines Arbeitsplatzes. „Denn bei mobiler Arbeit kann der Arbeitgeber nicht für den richtigen Lichteinfall und Ähnliches verantwortlich sein“, schreiben die Liberalen in ihrem Wahlprogramm. Dieser Einwand ist durchaus berechtigt, doch ein wenig unambitioniert, wenn es um die Fragen der Ausstattung im Home-Office geht.
Die FDP möchte zudem die Selbstständigen stärken. Sie sollen die Form der Krankenversicherung wählen dürfen. Eine „Pflicht zur Altersvorsorge“ halten die Liberalen für angemessen, jedoch soll auch dort Wahlfreiheit herrschen.
Ein besonderes Goodie gibt es noch für die klassische Wählergruppe: Für oberste Führungskräfte soll es Familienauszeiten geben, ohne von einem Mandat zurücktreten zu müssen. Bisher können nämlich beispielsweise Vorständinnen, die ein Kind bekommen, ihr Amt nicht ruhen lassen, sondern müssen es abgeben.
Darüber hinaus prägt sich die Vorstellung der FDP von Berufschancen stark durch die Bildungspolitik: Sowohl die betriebliche Berufsausbildung als auch der universitäre Ausbildungsweg sollen gestärkt werden. Für Weiterbildungen soll ein Midlife-BAföG in Höhe von bis zu 1.000 Euro pro Jahr Starthilfe geben. Dieses soll es bis zu vier Mal im Laufe des Erwerbslebens geben und es darf für selbst gewählte Zwecke genutzt werden.
Insgesamt können Menschen bis zu 4.000 Euro an verschiedenen Punkten des Lebens beantragen. Die FDP sieht dieses Geld als Grundstein für Weiterbildungen, als Start für eine Aktienrente und zur Unterstützung bei der Geburt eines Kindes.
Die FDP setzt auf Eigenverantwortung und Förderung von Potenzial, sie steht für ein Empowerment ambitionierter Menschen – eigentlich alles wie immer. Spannend sind die Vorschläge zum Midlife-BAföG, doch ein großes Konzept zur Zukunft der Arbeit ist noch nicht klar zu erkennen.
Der große Wurf könnte über die Weiterbildungskonzepte kommen
Beim Vergleich der Wahlprogramme von Grünen und FDP wird zunächst deutlich, dass Grüne eine größere Rolle beim Staat sehen, um soziale Sicherung und Aufstieg zu ermöglichen. Die FDP hingegen sieht mehr Verantwortung beim Individuum. Diese Differenz ist wenig überraschend.
Was hervorsticht, ist, dass die FDP einige originelle Vorschläge zu einem Midlife-BAföG oder Familienauszeiten für Führungskräfte formuliert. Allerdings bekommt man das Gefühl, dass das Wahlprogramm lediglich für eine bestimmte Zielgruppe und nicht für die heterogene Arbeitswelt gedacht ist. Die Grünen hingegen bleiben vage bei ihren Ideen und liefern wenig Originelles. Die Schwerpunkte dieser Parteien liegen bei anderen Ressorts – die große Vision für die Arbeitswelt der Zukunft formulieren beide nicht.
Alice Greschkow ist Politikwissenschaftlerin mit Leidenschaft für New Work. Sie lebt und arbeitet seit 2015 in Berlin und verbindet beruflich politische und wirtschaftliche Themen.
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