Alice Greschkow hat sich die Wahl-Programme der großen Parteien vorgenommen und sie unter dem Blickwinkel der Gestaltung unserer Arbeitswelt analysiert. In Teil 1 schaut sie auf die konservativen Parteien: Union und AfD.
Eigentlich liest kaum jemand Wahlprogramme. Denn die Parteien, die um die Gunst der Wählerinnen und Wähler für die Wahl des Bundestages im September buhlen, präsentieren in der Regel lange Broschüren mit sperrigen Formulierungen. Der „richtige“ – also aufmerksamkeitswirksame – Wahlkampf findet derweil in den klassischen Medien sowie auf sozialen Netzwerken statt. Die Wahlprogramme rücken damit in den Hintergrund. Ich habe mir dennoch die Mühe gemacht die Angebote der im Bundestag vertretenen Parteien auf New Work und die Zukunft der Arbeit zu prüfen. Denn hinter den großen Versprechungen zeigen die Parteien darin, welches Menschenbild und Staatsverständnis zugrunde liegt.
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AfD: Als hätte es keine Pandemie gegeben
Ich fange mit der AfD an. Das tue ich normalerweise nie, allerdings ist die AfD am schnellsten abgehandelt: Sie bietet nämlich in puncto New Work und Zukunft der Arbeit nichts. Kein Wort von Home-Office, kein Wort zu Selbstständigen, kein Wort von Beschäftigtendatenschutz oder Arbeitszeitgesetz. Laut Programm setzt sich die Partei für die „Entschlackung und Flexibilisierung des Arbeitsrechts“ ein, ohne zu konkretisieren, was das bedeuten soll.
Vereinzelt blitzt die Ambition hervor, die Arbeitswelt zu verändern – jedoch als Konsequenz anderer Ziele: Um Familien zu stärken, soll der Wiedereinstieg für Eltern nach der Babypause vereinfacht werden. Dafür soll es Lohnstaffelungen geben. Außerdem hat die AfD eine klare Position zur Bildung als Grundstein für den beruflichen Werdegang: Sie positioniert sich gegen einen „Akademisierungswahn“ und für die Förderung der betrieblichen Berufsausbildung. Digitale Kompetenzen sollen erst ab dem 5. Schuljahr vermittelt werden, damit diese nicht mit den Fähigkeiten Lesen, Schreiben und Rechnen konkurrieren.
Das Wahlprogramm unter dem Slogan „Deutschland. Aber normal.“ liest sich so, als wäre es 2019 geschrieben worden – die neuen Realitäten und Experimentierräume der Arbeitswelt, die die Pandemie geschaffen hat, finden bei der AfD nicht statt. Stattdessen zurück zum „old normal“.
Union: Das Altbekannte bewahren und zukunftssicher machen
CDU und CSU geben sich selbstbewusst und haben mit ihrem „Programm für Stabilität und Erneuerung“ direkt ein „Regierungsprogramm“ veröffentlicht. Der Scheinwiderspruch zwischen Stabilität und Erneuerung trifft dabei den Nagel ganz gut auf den Kopf: Die Union hat sich Gedanken gemacht, wie die Arbeitswelt der Zukunft sein soll und verlässt sich darauf, bewährte Konzepte fortzuführen und gegebenenfalls für die Zukunft anzupassen.
Dabei ist ein bunter Strauß an Forderungen entstanden: Die Union möchte Betriebsräte stärken, mehr Rechtssicherheit für Selbstständige schaffen und Zeitarbeit sowie Minijobs als mögliche Arbeitsformen bewahren. Ein großes Kapitel beschäftigt sich mit der Modernisierung des öffentlichen Dienstes und der Steigerung der Attraktivität des Sektors als Arbeitgeber.
Darüber hinaus finden sich einige progressivere Ideen: Der nicht mehr ganz neue Vorschlag der Lebenszeitkonten wird neu gerahmt. Als „Familienzeitkonten“ soll das Instrument der Zeitwertkonten weiterentwickelt werden. Hinter allen drei Begriffen steckt dieselbe Idee: Man „spart“ Zeit in Form von Überstunden oder nicht genommenem Urlaub an und nutzt sie dann an anderer Stelle. Im Laufe der Erwerbsbiografie sollen Menschen die Zeitautonomie haben, mal beruflich etwas kürzer zu treten und an anderer Stelle voll reinzuhauen. Die Familienzeitkonten sollen von den Tarifpartnern ausgehandelt werden.
Eine Reaktion auf das Pandemiejahr dürfte die Forderung nach einem neuen Arbeitszeitgesetz sein. Statt einer täglichen, soll eine wöchentliche Höchstarbeitzeit gelten. „Missbrauch und Entgrenzung“ möchte die Union gleichzeitig verhindern. Darüber hinaus möchten CDU und CSU neue Arbeitsformen wie Crowd- und Gigwork begleiten und Missstände in diesen Arbeitsformen bekämpfen.
Eine weitere Reaktion auf die Pandemie dürfte die Forderung zum Ausbau von Coworking-Spaces im ländlichen Raum sein. Zudem widmet sich die Union der Aufgabe, den öffentlichen Dienst zu einem attraktiven Arbeitgeber zu reformieren.
Die Union hat ein solides Programm für ihre Zielgruppe geschaffen. Arbeit nimmt dabei nicht viel Raum ein, doch thematisch dürfte es genug Menschen abholen, die eigentlich mit der Arbeitswelt zufrieden sind und Lust auf einen Hauch Neues haben.
Eine Linie aus der aktuellen Legislaturperiode zieht sich durch: Die Union ist gegen eine starke staatliche Regulierung des Arbeitslebens. Bestrebungen des Arbeitsministers Hubertus Heil beispielsweise ein Recht auf Home-Office umzusetzen, wurden blockiert. Stattdessen sieht sich die Union eher als Impulsgeberin für Tarifpartner, Unternehmen und Beschäftigte, die innerhalb eines gesetzlichen Rahmens das Arbeiten selbst gestalten sollen.
Während bei der AfD die Zukunft der Arbeit ausfällt, würde man sich in einem rein hypothetischen Szenario bei schwarz geführten Arbeitsministerium auf solides Management verlassen können. Unter den Vorschlägen für eine moderne Arbeitswelt könnte die Modernisierung des öffentlichen Dienstes die größte Tragweite haben, denn der Sektor blutet in puncto Personal aus. Kein sexy Thema, aber ein wichtiger Punkt.
Alice Greschkow ist Politikwissenschaftlerin mit Leidenschaft für New Work. Sie lebt und arbeitet seit 2015 in Berlin und verbindet beruflich politische und wirtschaftliche Themen.
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