Die Stoll Gruppe hat vor ein paar Jahren das „Integrierte Miteinander“ für sich erfunden. Alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind seitdem an der strategischen Ausrichtung des Unternehmens beteiligt. Hier gewährt Ingo Tiedemann einen Blick hinter die Kulissen.
1. Ihr macht das „Integrierte Miteinander“ – was ist die Idee dahinter?
Als Familienunternehmen mit acht Einzelgesellschaften ist die Stoll Gruppe GmbH in den Bereichen Industrie-Elektro-Installation, Anlagenbau sowie Energie- und Automatisierungstechnik tätig. Um unsere Handlungsfähigkeit zu stärken, setzen wir seit 2011 auf prozess- und projektorientiertes Arbeiten. Die Unternehmensstruktur hat sich seitdem stark verändert, wir mussten aber feststellen, dass die Entwicklung einer neuen Unternehmenskultur kaum hinterherkam. Unsere Herausforderung war, im Projektgeschäft die gute Zusammenarbeit in interdisziplinären Teams und eine heterogene Belegschaft mit unterschiedlichen Kompetenzen und Denkweisen zu realisieren. Und wir mussten feststellen, dass die personelle Vielfalt und Interdisziplinarität auch Herausforderungen in der Zusammenarbeit birgt: Unterschiedliche Charaktere treffen aufeinander, verschiedene Sichtweisen und Denkansätze müssen unter einen Hut gebracht werden. Das kann schon mal zu Konflikten führen und den reibungslosen Arbeitsablauf erschweren. Das haben auch wie erlebt, bevor wir 2013 das sogenannte „Integrierte Miteinander“ initiierten, um die Zusammenarbeit im Unternehmen systematisch zu entwickeln.
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Uns ist wichtig, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Wertschätzung entgegenzubringen und sie auf diese Weise zur aktiven Mitgestaltung zu motivieren. Wir wollen die Vorschläge der Beschäftigten ernst nehmen, konstruktiv damit umgehen und transparent machen, wie es damit weitergeht. Unsere Teamleiter möchten wir dabei unterstützen alte Denkmuster zu hinterfragen und über gute Führung und Kommunikation ihre Mitarbeiter mitzunehmen. Um Silodenken und Alleingänge zu vermeiden ist uns ein intensiver Austausch der Teamleiter untereinander und mit der Geschäftsführung wichtig.
2. Wie habt ihr das umgesetzt?
Unser Ansatz des „Integrierten Miteinanders“ basiert darauf, dass sich alle Beschäftigte an der Ausrichtung der Unternehmensstrategie und -kultur beteiligen können. Dies geschieht in einem halbjährlich ablaufenden Zyklus. Ein Zyklus beginnt alle sechs Monate mit einem sogenannten „Integrierten Mitarbeiterseminar“. Dabei kommen alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Unternehmens, unabhängig von ihrer Funktion, Position oder Hierarchieebene, in einem großen Raum zusammen. Das Seminar beinhaltet eine etwa einstündige „strategische Begründung“, in der Vertreterinnen und Vertreter der Geschäftsführung Strategie und Fokus des nächsten Halbjahres vorstellen. Im Anschluss an die Präsentation der Geschäftsführung tauschen sich die Beschäftigten in fünf- bis zehnköpfigen Teams, in denen sie auch später zusammenarbeiten, über die Unternehmensstrategie aus. Jeder hat dabei die Möglichkeit Fragen zu stellen, sich zu Strategie und Unternehmenszielen zu äußern oder diese anzuzweifeln. Die Teamleiterinnen und Teamleiter tragen die Ergebnisse gegenüber der Geschäftsleitung vor.
Im Anschluss an das halbjährliche Impulsseminar treffen sich die Teams kontinuierlich in einem 14-tägigen Rhythmus für jeweils eine Stunde. Bei diesen Treffen wird überlegt, welchen konkreten Beitrag die Teams und Mitarbeiter zur Erreichung der Unternehmensziele und Umsetzung der Unternehmensstrategie leisten können und wie das messbar gemacht werden kann. Die Entwicklungen in den Teams werden fortlaufend dokumentiert und alle zwei Wochen über einen internen Newsletter verbreitet. Die Zusammenarbeit im Unternehmen hat sich im Laufe der letzten Jahre stark verändert: Sie ist zunehmend von den Funktionen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und weniger von Hierarchien bestimmt.
Begonnen haben wir im ersten Zyklus mit der Hälfte der Teams, um erste Erfahrungen zu sammeln und die Abläufe und Rahmenbedingungen auf das Unternehmen anzupassen. Wir haben außerdem als Kommunikationsweg die „IM-Nachrichten“ etabliert und unser Unternehmens-Wiki in den Prozess integriert. Und schon zum zweiten Zyklus waren alle Mitarbeiter mit dabei.
3. Welche Herausforderung kam auf euch zu?
Unsere Wurzeln sind im Handwerk begründet und unser Projektgeschäft bringt viel „Fire-Fighting“ mit sich, also spontanes Reagieren auf Gegebenheiten. Das heißt einerseits, dass wir unsere Mitarbeiter oder sie sich selber „freischaufeln“ mussten, damit sie an den Arbeitstreffen teilnehmen können. Andererseits bergen solche Feuerwehreinsätze auch immer die Gefahr von Machertum und Aktionismus. Also bestand unsere Herausforderung darin, verständliche Ziele vorzugeben und Orientierung zu bieten. Über diese Fokussierung haben die Teams eine Entscheidungsgrundlage, welchen wesentlichen Themen sie sich mit welcher Priorität widmen können oder müssen.
Dadurch wurde uns die Bedeutung der Schnittstellen klar. Nur durch ein gemeinsames Abstimmen können gute kundenzentrierte Lösungen gefunden werden. Darüber hinaus haben wir in den letzten Jahren kontinuierlich unser Leitbild weiterentwickelt. Hiermit haben alle unsere Mitarbeiter die Möglichkeit, mit ihrem eigenen Wertebild einen Beitrag im Sinne des Gesamtunternehmens zu leisten. Durch Unterstützung bei der Priorisierung, durch bereichsübergreifende Abstimmung und durch Ankopplung an Sinn und Zweck des Unternehmens wurde das Integrierte Miteinander nicht mehr als „on top“ empfunden, sondern als notwendiger Zeitaufwand um Dinge zu klären.
4. Wie habt ihr ins Haus hinein erklärt, was ihr vorhabt und wie das geht?
Im ersten Schritt haben wir alle Teamleiter als Schlüsselpersonen ins Boot geholt und mit den Prinzipien sowie Abläufen vertraut gemacht. Anschließend wurden Moderationsfähigkeiten aufgebaut. Nachdem alle Mitarbeiter auf dem ersten Mitarbeiterseminar über die Hintergründe informiert wurden, erfolgte die Einbindung durch aktives Handeln in einem vorgegebenen Spielfeld. Im Laufe eines Halbjahreszyklus finden regelmäßig Reflektions- und Austauschrunden statt, um die Teamleiter in ihrer Rolle zu unterstützen. Außerdem teilen wir 14-tägig in unserem internen Newsletter Berichte und Erfolge aus dem Unternehmen sowie den aktuellen Stand der Fokus-Kennzahlen. Und ein wesentliches Mittel, um alle Mitarbeiter mitzunehmen, ist das halbjährlich stattfindende „Integrierte Mitarbeiterseminar“ mit Lagebeurteilung und strategischer Ausrichtung.
5. Was ist euer wichtigstes Learning aus dem Prozess?
Um aus dem „Fire-Fighting“-Modus herauszukommen, braucht es ein stabiles Fundament. Erreichen kann man dies über folgende Schritte:
- Zugehörigkeit durch feste Teams
- Selbstwirksamkeit durch schlankes Projektmanagement
- Verbindlichkeit und Fairness durch kundenzentrierte standardisierte Prozesse
- Orientierung durch Fokus und Ziele
Darauf aufbauend kann Innovation, Kooperation stattfinden und – wenn passend – agile Prozesse implementiert werden.
6. Wenn ihr einer anderen Organisation einen Rat geben würdet, die sich auch auf den Weg macht: Welcher Ratschlag wäre das?
Wir würden uns erlauben zwei Ratschläge zu geben. Erstens ist es bei der Umsetzung eines Vorhabens wichtig, dass emotionale und rationale Argumente in Einklang sind. Zum Beispiel die Überzeugung, dass die Verbesserung der Zusammenarbeit zukunftsweisend ist, und dass über halbjährliche Zwischenziele der Invest und wirtschaftliche Erfolg überprüft werden können. Und zweitens ist Reflexionsvermögen der Führung unabdingbar. Nur so kann eine Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit erkannt, benannt und aktiv bearbeitet werden.
Ingo Tiedemann ist Ingenieur mit über 20 Jahren Führungserfahrung als Jungunternehmer, Abteilungs- und Bereichsleiter branchenübergreifend in der Produktion und im Projektgeschäft. Seit 2014 ist Ingo Tiedemann Mitglied des Führungsteams der Stoll-Gruppe und hat dort 2018 die Leitung der Personal- und Organisationsentwicklung übernommen. Als systemischer Berater und Organisationsentwickler liegt sein Fokus auf Karriere- und Potentialentwicklung, drängenden Führungsthemen sowie Veränderungs- und Transformationsprozessen.