„Turbomäßig in die totale Digitalisierung katapultiert“ – so beschreibt die Unternehmerin Anna Julia von Winterfeldt die Auswirkungen von Corona auf ihre Arbeit. Hier erzählt sie, wie sie damit umging – und wie sie die Krise in Chancen verwandelte.
1. Wie hat sich Deine Arbeit durch die Krise verändert?
Ich bin seit gut 20 Jahren im Digital Business unterwegs, sowohl in großen Agenturen als Geschäftsführerin als auch im privaten Bereich. Ich würde sagen, ich bin ein Digital Junkie. Aber ich hatte nicht damit gerechnet, so turbomäßig in die totale Digitalisierung katapultiert zu werden – von einem Tag auf den anderen haben wir im Team unsere Formate online gestellt und uns in das große Experimentierfeld begeben. Und es funktioniert! Das verwundert mich selbst am meisten.
2. Wie hat sich das angefühlt?
Wow! Das war ein Gefühl wie Achterbahn fahren. Da war ein Gefühl von großer Unsicherheit auf verschiedenen Ebenen: Erst einmal steht die Gesundheit der Kunden, der Teilnehmer an unseren Formaten, die meines Teams und meine persönliche sowie die meiner Familie im Fokus. Wie werde ich dem gerecht? Was ist zu tun? Wie können alle geforderten Maßnahmen umgesetzt werden? Dann kam die Frage nach der finanziellen Grundlage meines Unternehmens. Wie kann ich weitermachen? Wie bringe ich mein Team sicher durch diese unsichere Zeit? Da kam eine noch größere Verantwortung auf mich zu als eh schon als Unternehmerin. Wie kann die auch für unsere Kunden veränderte Situation in meine Arbeit einfließen? Wir stehen als Unternehmer alle vor sehr ähnlichen Herausforderungen.
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Zunächst bin ich ganz pragmatisch vorgegangen und gemeinsam habe ich mit meinem Team unsere Formate überprüft und wir haben beschlossen das Experiment zu wagen und sind mit allem online gegangen. Der nächste Schritt war dann, die Grundlage für unsere Existenz zu sichern und einen Antrag zur Unterstützung des Unternehmens zu stellen. Nachdem das geschafft war, haben wir uns ganz auf das Neue eingestellt und wir fahren bisher gut damit.
3. Hat Dir etwas gefehlt?
Ehrlich gesagt nicht. Wir haben „den Stier bei den Hörnern gepackt“, wie man so sagt, und sind jetzt dabei, mit aller Kraft die gestellten Herausforderungen zu bewältigen und herauszufinden, was uns weiterbringt und wie das Wissen daraus unseren Kunden dienlich sein kann.
4. Wie nimmst Du unseren Umgang mit der Krisensituation wahr?
Zwei Arten des Umgangs fallen mir auf: Da sind Menschen, die mutig die Herausforderungen anpacken, die diese weltweite Pandemie mit sich bringt. Sie stellen sich den Unbequemlichkeiten und sehen Solidarität als Handlungsmaxime an. Aber ich sehe leider auch eine andere Seite. Hier scheinen Angst und zum Teil auch ein rigoroser Egoismus das Erleben der Krisensituation zu bestimmen. Ich wünsche mir, wir würden gemeinsam und vertrauensvoll mit viel Verständnis füreinander in die Diskussion und das Zusammenleben gehen, statt das es zu Polarisierungen und Verhärtungen im Umgang mit der Krise kommt.
5. Welche Reaktion fandest Du besonders gelungen?
Großartig finde ich Aktionen wie diese von Trigema: Mitte März hat der Trigema-Chef Wolfgang Grupp verkündet, man werde in die Behelfs-Mund-und-Nasenmasken-Produktion gehen. Auch die Knappheit an Desinfektionsmitteln löste solidarische Reaktionen bei Unternehmen aus, statt beispielsweise Alkohol zu brennen, wurden Produktionen auf das Notwendige umgestellt.
Die Angst vor der Ausbreitung des Corona-Virus treibt Unternehmen an und so haben viele etwas ermöglicht, was vorher in dem Ausmaß für unmöglich gehalten wurde: Home-Office. Da geht was! Und selbst in der Politik hat sich aktuell die Telefonkonferenz quasi durchgesetzt. Ich denke, dass diese nicht nur einen Corona-Aspekt hat, sondern auch im Hinblick auf den Klimawandel eine gesellschaftliche Relevanz behalten sollte.
Einige unserer Kunden sind im Agenturumfeld und ich fand eine Idee ganz besonders spitze, um die Online-Begegnung mit Unerwarteten zu füllen und echte Verbindungen zwischen Menschen zu schaffen. So simpel und doch so wunderbar menschlich und leicht: Pizza ins Heim liefern lassen.
6. Was sollten wir aus der Krise lernen und in die Nach-Corona-Zeit mitnehmen?
In einem unserer Soul-Talks, die wir mit dem Lockdown online ins Leben gerufen haben, haben wir unseren Teilnehmer/innen die Frage gestellt: Was fehlt dir jetzt in der Krise überhaupt nicht? Fast alle waren sich einig: Shoppen fehlt nicht und endlose Meetings ebenso wenig.
Außerdem sind für mich persönlich fast alle aufwändigen (Flug-)Reisen zu Kunden und zu Konferenzen weggefallen, die mir jetzt mehr erlauben, meine Zeit in konzeptionelle Arbeit zu investieren. Und der Kundenkontakt funktioniert im digitalen Zeitalter nun online. Und das Faszinierende ist, dass das von heute auf morgen funktionierte. Ganz wichtig für uns alle in und nach der Krise: Das Prinzip Solidarität sollte im gesellschaftlichen Miteinander eine übergeordnete Rolle spielen.
7. Was hast Du ganz persönlich bisher gelernt?
Genaus das, was ich mir für die gesamte Gesellschaft wünsche, nehme ich für mich selbst für die neue Zukunft nach der Krise mit. Wir sollten unser Konsumverhalten hinterfragen und auch Home-Office und Telefonkonferenzen zur Gewohnheit werden lassen – zur Entlastung jedes Einzelnen von uns und auch zur Entlastung der Umwelt.
Das Wichtigste für mich aber ist: Ich weiß nicht, wie es wirklich nach der Krise sein wird. Aber eines weiß ich, wenn ich – als Privatperson und als Unternehmerin – eine klare innere Haltung habe, einen wirklichen und echten Purpose transportiere, kann ich mich daran ausrichten und Zukunft annehmen, wie auch immer sie aussehen wird.
Anna Julia von Winterfeldt ist Human Leadership Aktivistin, Purpose Advocate, Systemische Beraterin und Coach, und wurde auch schon als „Business Hippie“ bezeichnet. Sie arbeitete 20 Jahre lang in Berlin, New York, Neu Delhi und London für internationale Digital-Marketing- und Technologie-Unternehmen wie Publicis Pixelpark, Publicis Sapient, Accenture und zuletzt als Managing Director für AKQA Deutschland. 2015 und 2016 wurde sie unter die Top 5 der wichtigsten Agentur-Managerinnen Deutschlands gewählt und gründete 2015 ihr eigenes Unternehmen und Kollektiv Soulworx. Sie tritt als Rednerin und Moderatorin im Kontext New Work, Human Leadership, Kulturwandel und Purpose auf verschiedenen Bühnen auf. Ihre Mission: Das grenzenlose Potenzial von über einer Million Menschen zu wecken.
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