Wir neigen dazu, bei den neuen Formen unserer Arbeit vor allem in den Kategorien Tools und Technologie zu denken, analysiert der „Persoblogger“ Stefan Scheller. Doch je mehr wir asynchron arbeiten, umso wichtiger wird ein ganz und gar softer Skill: Selbstführung – besonders für Führungskräfte.
Wenn von Home-Office, mobiler Arbeit oder neuerdings sogenannter hybrider Arbeit die Rede ist, geht es häufig um Tools, Technologie oder – auf der Meta-Ebene – um New Work. Das sind zwar alles mehr oder minder zutreffende Assoziationen – aber bei Weitem nicht das Einzige, was diese Formen digitaler Zusammenarbeit so herausfordernd macht. Denn wir sollten nicht vergessen, dass es trotz aller Virtualität am Ende immer noch um Menschen geht. Und zwar in ihrer Ganzheitlichkeit und Komplexität – nicht nur als zweidimensional aufgereihte Pixelhaufen in Videokonferenz-Software.
Abonniere den Newsletter der Accelerate Academy!
Was Dir der Newsletter bietet: Das Beste zu den Themen Neue Arbeit und Neues Lernen, Einladungen zu Events in ganz Deutschland und zu virtuellen Veranstaltungen, und Zugriff auf wertvolle Ressourcen.
Führung auf Distanz ist für viele weiterhin Neuland
Zwar gab es schon vor der Corona-Pandemie einen kleinen zweistelligen Prozentsatz an Menschen, die fernab der eigenen Führungskraft Arbeit mehr oder weniger eigenständig verrichtete, sei es im Home-Office oder gar vollständig mobil. Nicht zu vergessen sind da auch die Außendiensteinheiten in Unternehmen wie Vertrieb oder Beratung. Aber in großem Rahmen war die Corona-bedingte räumliche Trennung zwischen Führung und Mitarbeitenden doch etwas Neues.
Wo es manchen Führungskräften in den letzten 1,5 Jahren möglicherweise noch gelungen war, sich „irgendwie durchzuwursteln“ und sie auf Ausreden wie „es ist für uns alle eine schwierige Situation“ setzen konnten, ereilt sie spätestens mit dem absehbaren Ende der pandemischen Lage das viel beschriebene New Normal.
Warum aber betrifft das Neue Normal ausgerechnet Führung so massiv – und was hat das alles mit Selbstführung zu tun?
Selbstführungskompetenz für Mitarbeitende – aber auch Führungskräfte
Was genau meine ich mit Selbstführung? Ich verwende diesen Begriff im Sinne eines Beeinflussens der eigenen Gedanken- und Gefühlswelt mit Auswirkung auf das Handeln, um ein zuvor gestecktes Ziel zu erreichen. Im Arbeitskontext bedeutet dies vor allem (Selbst-)Organisation und Motivation, um eine bestmögliche Arbeitsleistung zu erbringen.
In manchen Organisationen mag man noch immer dem alten Gedanken anhängen, dass Führungskräfte den Auftrag haben, die Menschen in ihren Teams zu motivieren. Meine Haltung zu diesem Thema ist eine komplett andere: Aus meiner Sicht sollten Führungskräfte eher alles tunlichst vermeiden, was die Eigenmotivation (die intrinsische Motivation) gefährden könnte. Außerdem tun sie gut daran, Rahmenbedingungen zu schaffen, um Arbeitsmotivation und Leistungsbereitschaft positiv zu beeinflussen.
Die besondere Vorbild-Funktion von Führungskräften
Moderne Formen virtueller Zusammenarbeit wie das synchrone Zusammenwirken von Teammitgliedern, von denen ein Teil physisch im Unternehmen zugegen, ein anderer Teil lediglich remote angebunden ist, lassen den guten alten Leitsatz „Führen durch Vorleben“ in neuem Glanze erstrahlen.
Konkret auf die Praxis hybrider Zusammenarbeit bezogen, bedeutet das beispielsweise, dass Führungskräfte ein klares Erwartungsmanagement betreiben und sich insbesondere selbst daran halten. So mag ein E-Mail-Versand zu spätnächtlicher Stunde für die betreffende Führungsperson ein Ausdruck der durch die neuen mobilen Arbeitsformen hinzugewonnenen Freiheit in der Zeiteinteilung sein. Für die Teammitglieder als Empfangende entsteht aber so sehr schnell eine Art Zwangssituation. Fragen wie „Muss ich selbst nun auch nachts noch aktiv sein, um meine Leistungsbereitschaft unter Beweis zu stellen?“ oder „Vielleicht sollte ich vor dem Schlafengehen doch sicherheitshalber nochmal meinen geschäftlichen Nachrichteneingang checken?“ verdeutlichen, was ich damit meine.
Im umgekehrten Sinne wirkt es positiv, wenn Führungskräfte einmal früher mit der Arbeit aufhören und sich aus einem Meeting verabschieden, weil die eigene Sport-Session oder ein gemütlicher Nachmittag mit der Familie ansteht. Das Erleben solcher Situationen sendet unglaublich starke Signale an alle, dass Work-Life-Balance nicht nur ein Buzzword in der Arbeitgeberkommunikation des eigenen Unternehmens ist, sondern tatsächlich ernst genommen wird. Es gibt Sicherheit und Struktur.
Insofern beginnt effektive Befähigung der Mitarbeitenden zur Selbstführung stets mit der eigenen Selbstführungskompetenz der formal Führenden. Vermutlich ist das für alle Beteiligten eine mehr oder minder lange Lernreise. Die Verlockungen einer professionellen und vor allem menschengerechten neuen digitalen Zusammenarbeit sollten den Einsatz aber aus meiner Sicht wert sein.
Stefan Scheller ist als Fachberater Personalmarketing und Employer Branding eines der Gesichter der Arbeitgebermarkenkommunikation der DATEV eG. Seit 2013 betreibt er zudem mit PERSOBLOGGER.DE eine der bekanntesten HR-Webseiten im DACH-Raum. Er ist achtfacher Buchautor, Keynote Speaker und B2B-Influencer. Zuletzt veröffentlichte er den „Praxisleitfaden Homeoffice und mobiles Arbeiten“ zusammen mit Rechtsanwalt Christian Beck. Du findest Stefan auch bei XING, LinkedIn und Twitter.
Wenn Du einen Gastbeitrag verfassen möchtest,
dann sende Deine Idee einfach an Inga: inga@accelerate-academy.de