Bei New Work geht es nicht nur um Arbeit – sie ist Baustein von etwas Größerem, meint Ole Wintermann. Er sagt: Damit Neue Arbeit nicht zum Selbstzweck wird, müssen wir sie als Instrument für Nachhaltigkeit in den Unternehmen einsetzen. Wie das gehen kann? Hier skizziert er es. 

Ist bezüglich New Work nicht inzwischen alles auserzählt? Sind die WOL-Zirkel inzwischen nicht auch in das letzte KMU eingezogen? Ist jetzt nicht endlich jedem Vorstand, jeder Geschäftsführung klar, dass die Digitalisierung der Arbeit kein vorübergehender Hype ist, sondern auf Dauer bleiben wird?

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In den letzten 5 Jahren wurden alle erdenklichen Geschichten rund um die Digitalisierung unserer Arbeit erzählt. Ausgehend von der Industrie-4.0-Debatte kam es vor etwa 5 Jahren zur Arbeiten-4.0-Debatte, bis die ersten Protagonist/innen des Trends erkannten, dass die Übertragung der industriell-technischen Logik von Industrie 4.0 auf die Änderung der Arbeitskultur so nicht machbar war. Deswegen ging das Branding der Diskussionen über zu den Begrifflichkeiten der Zukunft der Arbeit, der Arbeit der Zukunft, der zukünftigen Arbeit und der digitalen Arbeitskultur. Und dies war auch richtig, ging es doch darum, die Entscheidenden in den Unternehmen aus ihrem Trott zu reißen und zu zeigen, was und wie sich die Form der Arbeit ändert.

Was aber folgt danach? Wollen wir weiter über ein Instrument des Arbeitens reden und damit die Debatte und die Digitalisierung zum Selbstzweck werden lassen? Oder wollen wir nicht lieber endlich fragen, zu welchen weiteren Implikationen dieses Instrument führen könnte und welchem Zweck das Instrument denn eigentlich dienen soll? Ansonsten laufen wir Gefahr, unreflektiert den digitalen Taylorismus und die weitere sinnbefreite Verdichtung der Arbeit zu befördern.

Und am Ende würde man sich fragen, ob diese Digitalisierung aus Sicht der Beschäftigten nicht doch ein unnötiges Eigentor gewesen ist, das man zugelassen hat, weil man hoffte, irgendwann von allein auf den Sinn der digitalen Transformation zu kommen – jenseits der Einkommenssteigerung der Vorstände und Geschäftsführungen.

Neue Arbeit braucht auch neue Vergütungsmodelle

Mehr Eigenverantwortung im Zuge von New Work funktioniert beispielsweise auf Dauer nicht ohne „New Pay“: Agiles Projektmanagement als wichtiges Instrument von New-Work-Methoden bedeutet im Idealfall, dass Vorgesetzte tendenziell zum Coach werden, dass formale Hierarchien durch Kompetenzhierarchien abgelöst werden, dass die individuelle Verantwortlichkeit im Rahmen der eigenen Kompetenzhoheit ansteigt, dass die Einflussnahme auf wichtige Entscheidungen zunimmt.

All diese Umwälzungen sind aber auf Dauer nicht vermittelbar, wenn sich diese Zunahme der Bedeutung der eigenen Rolle nicht auch gehaltstechnisch bemerkbar macht. Die naheliegende Frage bedeutet: Müssen Coach und Ober-Coach nach wie vor das Vielfache der Mitarbeitenden der relevanten Arbeitsebene verdienen?

Um New Pay mehr Raum zu geben, wird zunehmend nach neuen Formen der Unternehmensbeteiligung gefragt werden müssen: Eine nachhaltige Veränderung der Gehaltsstruktur ist in einem sozialen Machtgebilde wie einem Unternehmen nur sehr schwer umsetzbar. Die Entscheidenden müssten über den Rückgang ihres eigenen Gehaltes entscheiden. Begründet wird die Unmöglichkeit einer solchen Änderung immer gern mit dem Hinweis auf formale Verantwortlichkeiten, die dazu führten, dass Entscheidende auf Grundlage des bestehenden Gesellschaftsrechts haftbar gemacht werden könnten und dafür auch entsprechend „entschädigt“ werden müssten.

Die Transformation als großartige Gelegenheit für die Umsetzung von Ideen

Dieses Argument ist sicher nicht von der Hand zu weisen. Nur liegt die Lösung nicht im Festhalten an nicht mehr begründbaren Gehaltsunterschieden, sondern in der offensiven Debatte über die substanzielle Beteiligung von Arbeitnehmer/innen an den Unternehmen, für die sie arbeiten.

Diese Idee ist nicht neu. So führte Schweden temporär in konsequenter Weiterführung des deutschen Konzepts der Mitbestimmung Anfang der 1970er-Jahre die sogenannten Arbeitnehmerfonds ein, über die langsam das Eigentum an schwedischen Aktiengesellschaften an die Bevölkerung übergehen sollte. Sind wir in Deutschland nun 55 Jahre später reif für eine solche gesellschaftliche Debatte? Mir scheint die digitale betriebliche Transformation eine großartige Gelegenheit zu sein, diese Idee wieder hervorzuholen.

Die substanzielle Beteiligung von Arbeitnehmer/innen am eigenen Unternehmen setzt das Bild der mündigen Arbeitnehmer/in voraus. Sowohl Arbeitgeber/innen- wie auch Arbeitnehmer/inneninstitutionen haben aber – vor unterschiedlichen Hintergründen – ein anderes Menschenbild im Kopf: Wir müssen die Mitarbeiter/innen bzw. Mitglieder „mitnehmen“. Das Erkennen der eigenen Interessen im Zuge der Einführung von Methoden von New Work durch mündige Arbeitnehmer/innen wird von Institutionen, die eigentlich der Interessenvertretung dienen sollen, gern als Atomisierung von Interessen bezeichnet. Dies gilt ausdrücklich für beide Seiten des Arbeitsmarktes.

New Work und Nachhaltigkeit gehören zusammen

Die Art und Weise, in der Arbeitgeber/innen mit mündigen Arbeitnehmer/innen umgehen und der Umgang der Unternehmen mit den natürlichen Ressourcen gehen miteinander einher, so eine aktuell beginnende Debatte in Weiterführung der Diskussion um die Prinzipien von New Work. Was eine Unternehmensführung der Umwelt antut, tut diese Führung tendenziell auch den eigenen Mitarbeitenden an.

In beiden Punkten kommen Aspekte zum Tragen, die wir aus der New Work-Methodik kennen: Die (fehlende?) Fähigkeit der Entscheidenden zur Empathie, zum Austausch auf Augenhöhe, zu Respekt und Wertschätzung. Wir werden uns also damit beschäftigen müssen, inwiefern New Work der Achtsamkeit den Mitarbeitenden gegenüber, der Achtsamkeit der Mitarbeitenden gegenüber sich selbst und der Achtsamkeit des Unternehmens den natürlichen Ressourcen gegenüber beitragen kann.

Echte Ziele und nicht nur ein Selbstzweck

Dabei bieten die Methoden von New Work eigentlich eine ideale Voraussetzung dafür, bestehende Glaubenssätze in den internen Unternehmensprozessen zu hinterfragen, kreativ nach neuen Lösungen zu suchen und die Entscheidungen, die unter Beteiligung aller relevanten Personen gefallen sind, beständig konstruktiv zu hinterfragen. Digital bzw. auf KI basierte Werkzeuge geben uns die Möglichkeit, Achtsamkeit uns selbst gegenüber mit Hilfe von Wearables zu erlernen, Achtsamkeit gegenüber den Mitarbeitenden durch Bewertungs- oder Partizipationsplattformen mit Leben zu füllen und über die Nutzung und Bereitstellung offener Daten sowie dem digitalisierten Monitoring jenseits des üblichen Controllings und der klassischen Buchhaltung die Wechselwirkungen der betrieblichen Tätigkeit auch mit sozialen und natürlichen Ressourcen zu messen und zu bewerten.

Wenn New Work also am Ende zu etwas führen und nicht nur Selbstzweck sein soll, so werden wir nach dem Zweck von Unternehmen jenseits von Gewinn- und Vorstandsgehältermaximierung fragen müssen, wir müssen das Menschenbild der der Führung bedürftigen Mitarbeitenden mehr als hinterfragen und wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie wir mit New Work und der Digitalisierung mehr betriebliche Nachhaltigkeit erreichen können. Nehmen wir dieses größere Bild in den Blick, so erkennen wir, dass New Work nur ein Baustein ist.

Ein Baustein, der uns bisher riesig vorkam, weil wir zu nahe davorgestanden haben.

Dr. Ole Wintermann (Bild: Kai Uwe Oesterhelweg)

Dr. Ole Wintermann (Bild: Kai Uwe Oesterhelweg)

Ole Wintermann hat an den Universitäten Kiel, Göteborg und Greifswald VWL und Sozialwissenschaften studiert und über den schwedischen Wohlfahrtsstaat promoviert. Für die Bertelsmann Stiftung hat er nach dem Aufbau eines demografischen Indikatorensystems für die deutschen Bundesländer die internationale Blogger Plattform Futurechallenges.org aufgebaut und in die Selbständigkeit überführt. Er befasst sich aktuell mit der Zukunft der Arbeit, Fragen der Nachhaltigkeit, der Freiheit des Netzes und OER. Er bloggt außerdem für die Netzpiloten.de und das Journalisten-Start-up PIQD.de.

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