Fachkompetenz allein reicht nicht, um im Job erfolgreich zu sein – auch die Fähigkeit für Machtspielchen ist zentral. Doch besonders Frauen stoßen dabei oft an unsichtbare Grenzen. Warum das so ist und wie sie sich behaupten können, erklärt Ellen Pachabeyan hier.

Sie beschäftigen sich mit Kommunikationsstrategien und Machtspielen in beruflichen Kontexten – gerade im Vergleich zwischen den Geschlechtern. Wie sind Sie zu diesem Thema gekommen?
Ich arbeite seit nun mehr fast 20 Jahren mit Menschen im beruflichen Kontext an Themen wie Selbst- und Stressmanagement und Resilienz. Zu mir sind viele Führungskräfte gekommen, die zwar äußerst erfolgreich waren, dafür aber einen sehr hohen Preis bezahlt haben, was ihre eigene Gesundheit und die Lebensqualität anbelangt. Oft besteht die Überzeugung: „Wenn ich noch härter arbeite, mich fachlich noch mehr beweise und weiter qualifiziere, nur dann kann ich meinen Erfolg absichern oder den nächsten Karriereschritt gehen.“

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Sachkompetenz allein reicht nicht

Das ist ja an sich nicht falsch, von Nichts kommt Nichts, zumindest nicht nachhaltig. Was aber sehr häufig übersehen wird: Es geht nicht nur um Sachkompetenz, sondern es spielen auch ganz andere Faktoren eine Rolle, um sich im Job erfolgreich zu positionieren und gegen Mitbewerber/innen durchzusetzen.

Die verschiedenen Beispiele aus meiner Praxis als Coach zeigen, wie unterschiedlich Macht von Führungskräften gelebt wird. Wenige haben sich bis dato bewusst damit auseinandergesetzt, die eigene Autorität gezielt auszubauen und oft fehlen geeignete Mittel, um sich gegen Machtspiele zu wehren und zu erkennen, welche Sprache das Gegenüber spricht – ob Chef/in, Mitarbeiter/in oder Kolleg/in.

Was beobachten Sie in Ihrer Arbeit, wie die Arbeitenden sich verhalten?
Sehr häufig schildern mir die Frauen Situationen, die sie fassungslos, empört aber eben auch ratlos hinterlassen. Da eskaliert plötzlich in der Visite zwischen Chefarzt und Oberärztin eine Situation, weil der Chef in Gegenwart des/der Patienten/in darauf beharrt, eine Information nicht zu haben oder von seiner ursprünglichen Behandlungsempfehlung plötzlich keine Ahnung mehr haben will und den schwarzen Peter der Oberärztin zuschiebt. Geht diese nun in den Reflex, die Situation sachlich geraderücken oder dem Chefarzt gar in Gegenwart der Patienten/innen, der Schwestern und Assistenzärzte/innen die Sachlage erklären zu wollen, geht dieser vollends in den Angriff und kanzelt die Oberärztin regelrecht wie ein Schulmädchen vor versammelter Mannschaft ab. Diese hat genau das Gegenteil erreicht von dem, was sie wollte, und versteht die Welt nicht mehr. Sie fühlt sich doch sachlich im Recht. Es hilft ihr aber nicht und die Situation ist verdammt unangenehm für sie.

Manchmal wirkt es ganz harmlos

Manchmal kann es auch harmloser sein, z.B. in der Teambesprechung. Die Teamassistenz sagt, sie würde sich gerne zu ihrem Urlaub in der Woche X mit dem Team abstimmen. Die Bereichsleiterin wiegelt ab und bittet, den Urlaub erstmal einzutragen und an anderer Stelle darüber zu sprechen. Nun schaltet sich der Referent scheinbar etwas vorlaut mit Blick in den Urlaubsplaner ein und antwortet: „Das geht – geht klar!“ während seine Chefin, die Bereichsleiterin, neben ihm sitzt.

Das wirkt beim ersten Mal harmlos und sehr häufig wollen die Chefinnen nicht zu „bossig“ auftreten in einer solchen Situation. Also gehen sie darüber hinweg. Kommt so etwas aber nochmal vor, ist es kein Zufall, sondern eine gezielte Respektlosigkeit, die die Autorität der Bereichsleiterin empfindlich untergraben kann.

Direkt reagieren ist wichtig

Was wichtig ist: direkt reagieren. Ein Vier-Augen-Gespräch mit dem Referenten im Nachhinein, um diesen vor dem Team nicht anzugreifen, ist hier sehr häufig völlig wirkungslos. Er führt seine Chefin vor versammelter Mannschaft ja auch vor. So etwas darf nicht souverän weggelächelt werden. Das ist aber sehr häufig der Reflex der Frauen: Das Verhalten kleinreden, entschuldigen, Verständnis zeigen („Der wollte doch nur…“) und darüber hinweggehen – manchmal aus Hilflosigkeit, manchmal aus moralischer Überheblichkeit: „Auf diese Ebene lasse ich mich nicht herab. Das ist Kindergarten.“

Stattdessen sollten Frauen das Offensichtliche aussprechen und die Dreistigkeit im Raum stehen lassen, anstatt peinlich berührt sachlich zu bleiben. Schlagfertigkeit oder geistreiche Ironie braucht es dabei nicht.

Zu stark fokussiert auf die Sachebene

Warum haben Frauen so oft das Nachsehen in diesen Situationen? Woran liegt das?
Sie sind häufig zu stark fokussiert auf die Sach- und Inhaltsebene. Das führt eben auch zu blinden Flecken – dass es in bestimmten Umfeldern mit Vorgesetzten und Kollegen erstmal um eine Rangklärung und konsequentes Revierverhalten geht. Erst wenn das geklärt ist und man sich positioniert hat, hören die anderen wirklich zu und sind an meinen sachlichen Argumenten, fachlichen Ausführungen und Diskussionen ernsthaft interessiert.

Diese Erkenntnisse gehen auf den von Dr. Peter Modler entwickelten Ansatz der Geschlechterkommunikation zurück. Er unterscheidet dabei das vertikale Kommunikationssystem, was häufig Männern vertraut ist und sich zuerst an Klärung von Rang und Revier orientiert, und das horizontale Kommunikationssystem, welches Frauen häufiger nutzen und in dem die Bezugsgrößen Inhalt und Zugehörigkeit sind.

Rollenklarheit ist essenziell

Die Voraussetzung für ein Rang- und Revierbewusstsein ist wiederum ist die eigene Rollenklarheit: Was ist überhaupt meine Funktion, meine Rolle in der Organisation? Mit welchen Befugnissen ist diese Funktion ausgestattet? Wo beginnt mein Verantwortungsbereich, sprich mein Revier? Wo endet dieser aber auch? Und was ist meine Aufgabe in dieser Funktion?

Das fällt vielen Frauen nicht nur schwer, sondern sie wehren sich regelrecht dagegen. Die Sachebene ist ihre „Komfortzone“, in der sich viele Frauen auskennen. Alles andere wird als unauthentisch, nicht dem eigenen Führungsverständnis konform oder gar rückwärtsgewandt abgewertet.

Was bedeutet das für die Unternehmen?
Geschlechterkommunikation hat eine eminent wirtschaftliche Bedeutung, die für Erfolg oder Misserfolg von Organisationen und Firmen ausschlaggebend sein kann. Für Unternehmen bedeutet es unter Umständen, dass ein guter Teil der Angestellten auf Dauer frustriert ist, mit der eigenen Expertise und den eigenen Ideen kein Gehör findet oder sich resigniert zurückzieht, sich in diesen Machtspielen aufreibt, Energie und Motivation verliert und im Worst Case das Unternehmen verlässt. Hohe Krankenstände, Präsentismus oder Personalfluktuation können einige der Folgen sein.

Bei Machtspielen verlieren alle

Aber nicht nur die Frauen, die diesen Machtspielen nichts entgegensetzen können, sind die Opfer. Oft verstehen die Chefs, Kollegen/innen oder Unternehmenseigentümer/innen die Welt ja auch nicht: Warum ist die an sich fachlich geschätzte Kollegin immer so unzufrieden? Was will sie denn? Sie finden keinen Ansatz, um in ihrem Laden, ihrer Abteilung oder im Team die Stimmung und Kommunikation zu verbessern, weil sie nicht verstehen, was schief läuft.

Was empfehlen Sie den Menschen – Männern und Frauen! – sich in solchen Situationen besser zu verhalten?
Ich empfehle, die eigenen Kommunikationsstrategien zu hinterfragen und zu erweitern. Das ist nicht banal. Es erfordert Offenheit und die Bereitschaft, die eigenen Annahmen über gute und richtige Führung zu hinterfragen und zu erweitern. Der Ansatz von Dr. Peter Modler ist da sehr pragmatisch und wirksam. Egal, in welchem Kommunikationssystem man beheimatet ist, gilt es, die Strategien des anderen Systems zu verstehen und selbst anwenden zu können.

Bei den Führungskräften, die dies ernsthaft versuchen und die Strategien anwenden, die wir dazu im Coaching erarbeitet und eingeübt haben, führt es meist zu regelrechten Aha-Effekten. Und es funktioniert! Die Angriffe oder verbalen Übergriffe von Chefs oder Kollegen/innen nehmen ab. Die Frauen kämpfen nicht mehr darum, ernst genommen zu werden, sie werden es einfach. Die männlichen Sparringspartner im Job merken: Da spricht jemand meine Sprache, da durchblickt jemand meine Spielchen.

Das Spiel kann auch Spaß machen

Eine ganz konkrete Variable, um bei vertikal Kommunizierenden Gehör zu finden und sich Respekt zu verschaffen ist Tempo. Langsam sprechen, kurze einfache Aussagen, diese Aussagen immer wieder wiederholen, kurze Mails. Hier gibt es unendlich viele Stellschrauben.

Manchmal fängt es an, regelrecht Spaß zu machen, wenn man das Spiel verstanden hat. Der Job wird mehr zur Bühne, auf der ich eine Rolle einnehme, aber auch die Rolle abends wieder ablege. Das ist verbunden mit einem anderen und auch sehr wichtigen Thema heutzutage – Life Balance und Entgrenzung von Arbeit.

Sie bieten ein “Arroganz”-Training an. Ist das der richtige Weg – sollten wir nicht eher in Richtung z.B. von Empathie im Arbeitsumfeld gehen?
Ja, Empathie, Kooperation, flache Hierarchien – all das wird heute in Unternehmen propagiert und das hat auch seine Berechtigung.

Meine Erfahrung ist jedoch, dass die gelebte Wirklichkeit in vielen Unternehmen und Organisationen immer noch eine andere ist. Ehrlich gestanden: Ich bin mir auch nicht sicher, ob das immer die bessere Arbeitswelt schafft. Denn wenn Funktionen und klare Hierarchien und Strukturen verwischen, ist das Ergebnis oft Unklarheit, Verwirrung und ein Vakuum, in welches Menschen mit einem Machtanspruch reinstoßen und dieses für sich ausfüllen. Machtverhalten ist ja nicht weg, nur weil wir es als unmodern etikettieren.

Passendes Verhalten kann trainiert werden

Es geht also um den Aufbau von praktischen Handlungsstrategien – verbal aber sehr häufig eben auch nicht-verbal, oder zumindest nicht sachorientiert. Das muss trainiert werden.

Das „Arroganz-Training“ wurde von Dr. Peter Modler als Methode entwickelt, um vertikale Kommunikationsstrategien vornehmlich für Frauen in männerdominierten Umfeldern zu trainieren. Es geht darum, eine gewisse „Arroganz“, die einem klaren Rang- und Revierbewusstsein entspringt, dort zeigen zu können, wo es angebracht ist. Es geht nicht darum, sich Arroganz (also ich bin etwas Besseres als Du) als Lebens- und Wertehaltung anzueignen, sondern Arroganz gewissermaßen spielerisch und gezielt dann einsetzen zu können, wenn ich auf ein entsprechend arrogantes oder dreistes (männliches) Gegenüber stoße.

Mithilfe konkreter Tools handlungsfähig werden

Die vielzähligen, sehr praktischen Tools, die ich in diesem Training vermittle, funktionieren. Sie machen die Frauen handlungsfähiger, souveräner und innerlich stärker. Für mich als Psychologin ist es besonders interessant zu erleben, dass die innere Haltung manchmal auch dem Verhalten folgt, und nicht nur umgekehrt.

Was davon ist systemisch, also: Wie sollten wir auch unsere Organisationen umbauen und es nicht allein den Individuen aufbürden, sich durchzusetzen?
Systemisch kann man natürlich einiges machen, um ein Umdenken und einen echten Kulturwandel in einem Unternehmen oder einer Organisation herbeizuführen. Was ich nur oft erlebe ist, dass die Ideen zur Unternehmens- und Führungskultur in der Praxis nicht gelebt werden und verankert sind. Organisationen und Unternehmen sollten dafür sorgen, dass Ideen zu einer guten Zusammenarbeit wirklich durch alle Hierarchiestufen besprochen, implementiert und in konkrete Verhaltensweisen übersetzt werden. Natürlich sollten die Verantwortlichen auf den verschiedenen Ebenen in einer Organisation für das Thema Machtspiele sensibilisiert sein und dort einschreiten, wo es notwendig ist.

Mitarbeitende fit in Kommunikation machen

Das Arroganz-Training und Einzelcoaching-Prozesse zielen jedoch darauf ab, die betroffenen Frauen selbst zu sensibilisieren, zu stärken und handlungsfähiger zu machen und sich auch in einem männerdominierten Umfeld zurechtzufinden.

Organisationen umzubauen ist ein langwieriger und äußerst komplexer Prozess und kein Quick Fix. Bis dahin sollte man Mitarbeitende fit machen, besser miteinander zu kommunizieren und zu interagieren und die Unterschiedlichkeit der Kommunikationsgewohnheiten anzuerkennen und als spannende Bereicherung zu sehen.

Ellen Pachabeyan (Bild Stephan Harmanus)

Ellen Pachabeyan (Bild: Stephan Harmanus)

Ellen Pachabeyan ist Professional Certified Coach (PCC) der International Coaching Federation und unterstützt weibliche Führungskräfte darin, sich mehr Respekt, Durchsetzungsstärke und Souveränität im beruflichen Umfeld zu verschaffen. Sie verfügt über viele Jahre Erfahrung als Diplom-Psychologin und psychologische Fachberaterin im Gesundheitsbereich und konzentriert sich seit über 15 Jahren auf Coaching zum Selbstmanagement, Karriereorientierung sowie Coaching für Führungskräfte. Sie bietet sowohl Einzel- Gruppen- als auch Teamcoachings an. Als Trainerin ist sie in den Bereichen Resilienz, Selbstmanagement für Führungskräfte und Kommunikation tätig. Informationen zu ihrem Arroganz-Training gibt es auf pachabeyan.de

 

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