Sich krank zur Arbeit zu schleppen, ist ja glücklicherweise ein Phänomen, das durch die Pandemie ziemlich aus der Mode gekommen ist. Doch auch im Home-Office ist das mit dem Kranksein so eine Krux: Viele arbeiten auch hier krank. Das zeigt: Es liegt mitnichten am Büro, sondern an der Kultur, meint Alice Greschkow. Und sie fordert ein ganz neues Gesundheitsmanagement in hybriden Organisationen.
Wissenschaftlerinnen der Kühne Logistics University (KLU) und WHU – Otto Beisheim School of Management fanden heraus, dass Beschäftigte im Home-Office bei Krankheit von Schuldgefühlen geplagt werden. Sie fordern Unternehmen dazu auf, Beschäftigten im Home-Office zu verdeutlichen, dass sie sich umfänglich erholen sollen, sofern sie krank sind. Und deshalb stellt sich heute mehr denn je die wichtige Frage: Wie soll betriebliches Gesundheitsmanagement in einer hybriden Arbeitswelt aussehen?
Die Forscherinnen Prisca Brosi, Professorin für Human Resources Management an der KLU, und Fabiola H. Gerpott, Professorin für Personalführung an der WHU, haben in drei Studien mit 650 Teilnehmenden erforscht, wie Beschäftigte mit Krankheit in unterschiedlichen Szenarien umgehen.
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Im Büro wurde oft Produktivität durch Anwesenheit vorgetäuscht
Sie fanden zunächst heraus, dass während der Pandemie die Bereitschaft, bei Krankheit zu Haus zu bleiben, gestiegen ist – auch, um Kolleg/innen nicht anzustecken. Dies deutet auf eine Abkehr von einer hoch kompetitiven Präsenzkultur – auch als Präsentismus bekannt – hin. Viele werden noch andere Zeiten in Erinnerung haben: Vor der Pandemie konnte man beobachten, wie sich Beschäftigte trotz Krankheit ins Büro schleppten, um durch Anwesenheit Produktivität zu signalisieren.
Doch dieser Trend und die Möglichkeiten im Home-Office zu arbeiten, führen nicht dazu, dass Beschäftigte sich im Krankheitsfall mehr erholen. Die Forscherinnen beobachteten vielmehr, dass sich viele Menschen im Home-Office mit Krankheitssymptomen nicht krankmelden, sondern dennoch arbeiten. Dabei sind sie von zweierlei Sorten von Schuldgefühlen geplagt: Sie fühlen sich den Kolleg/innen gegenüber schuldig, weil sie gegebenenfalls weniger produktiv und belastbar sind. Gleichzeitig haben kranke Beschäftigte sich selbst gegenüber Schuldgefühle, weil sie sich nicht die Zeit nehmen, um sich auszukurieren.
Die Professorinnen Brosi und Gerpott fordern Unternehmen daher auf, Reflexion unter Beschäftigten zu fördern. Diese sollen sich vergegenwärtigen, dass sie ihrer eigenen Gesundheit schaden, wenn sie trotz Krankheit arbeiten. „Es reicht nicht, Mitarbeitende zu bitten, im Krankheitsfall zuhause zu bleiben, sie müssen auch über die negativen Konsequenzen der Entscheidung, trotzdem zu arbeiten, reflektieren“, sagt Professorin Brosi.
Die Forscherinnen nennen das neue Phänomen „workahomeism“. Sie haben beobachtet, dass Beschäftigte erwarten, dass sie weniger Schuldgefühle haben würden, wenn sie bei Krankheit aus dem Home-Office arbeiten würden, als wenn sie sich wie in einem klassischen Szenario krankmelden und zu Haus bleiben würden. Ihre Schuldgefühle waren jedoch genauso stark ausgeprägt, wenn nicht sogar stärker.
Es ist die Kultur, die Schuldgefühle befördert
Beim Lesen der Studie habe ich mir die Frage gestellt, in welche Richtung sich die Arbeitswelt tatsächlich verändert. Denn es ist ja durchaus ein Widerspruch, dass seit Jahren Work-Life-Balance diskutiert, gepredigt und versprochen wird, doch die Zahl Arbeitenden, die sich als Workaholics bezeichnen, gleichzeitig stagniert. Und im selben Zeitraum der Anteil der Menschen mit Burnout in die Höhe geschossen ist.
Die Resilienz- und Anti-Stress-Programme, die Obstkörbe und flexiblen Arbeitszeiten scheinen sekundär, wenn einer der Haupttreiber von Schuld und Sorgen im Arbeitsleben im Grunde gleich bleibt: Eine Arbeitskultur, die doch diejenigen honoriert, die am Ende Überstunden geleistet, über ihre (gesundheitlichen) Grenzen gegangen oder ihr Privatleben vernachlässigt haben.
Die Rahmenbedingungen, die Unternehmen vermeintlich zugunsten des Work-Life-Balance der Beschäftigten verändern, spielen eine sekundäre Rolle, wenn implizit nicht die Balance, sondern der absolute Fokus auf die Arbeit belohnt wird.
Ähnlich könnte es mit dem Home-Office sein. Zwar kann mobile Arbeit vielen Menschen Pendelwege ersparen und Räume für Kinderbetreuung eröffnen, doch Druck und Schuldgefühle im Arbeitsleben nimmt dieses Modell nicht automatisch. Dafür müssen Unternehmen tiefer an die Substanz der Arbeitsprozesse gehen und ihre Arbeitskultur reflektieren. Denn selbst gute Rahmenbedingungen können nicht von den unausgesprochenen Regeln des Arbeitens ablenken – und dies gilt es offen anzusprechen.
Alice Greschkow ist Politikwissenschaftlerin mit Leidenschaft für New Work. Sie lebt und arbeitet seit 2015 in Berlin und verbindet beruflich politische und wirtschaftliche Themen.
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