Oft wird Vereinbarkeit mit der Forderung nach Kita-Plätzen verknüpft. Doch zwei Vollzeit arbeitende Eltern heißt in der Regel: Absolute Zeitnot, auch mit Kita. Die Lösung für echte Vereinbarkeit liegt ganz woanders, meint Charlotte Echterhoff – bloß nicht Vollzeitbeschäftigung für alle!
Der Diskurs läuft falsch. Das wurde mir schlagartig klar, als ich das erste Mal als Arbeitnehmerin eine Woche krankgeschrieben war. Ich glaube, es waren Halsschmerzen. Es ging mir nicht gut und es war richtig, durch die Krankschreibung Erholung zu bekommen. Aber es ging mir auch nicht sooo schlecht, dass ich nur im Bett liegen konnte. Es war eine Woche, die ich wegen einer Auslandsreise meines Mannes alleine mit den Kindern war, insofern war Bett ohnehin keine Alternative. Diese Woche, die ich krankgeschrieben war, war eine der schönsten in diesem Jahr. Meine damals noch vierjährige Tochter hat es am Morgen des zweiten Tages so zusammengefasst: „Mama, das ist schön, wenn du krank bist, dann bist du nicht so eilig.“
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Je länger Betreuung umso gelungener Vereinbarkeit?
Wenn wir über Vereinbarkeit von Familie und Beruf reden, dann höre ich oft die politische Forderung nach mehr Kita-Plätzen. Es wird eine einfache Korrelation aufgemacht: Je länger die Betreuungsangebote, desto einfacher die Berufstätigkeit für die Mütter, und je mehr berufstätige Mütter, desto gelungener die Vereinbarkeit. Fertig. So sind berufstätige Mütter Symbol für gelungene Vereinbarkeit und ein mehr gemeinsame Zeit beanspruchendes Familienmodell zum Sinnbild konservativer Rückständigkeit geworden. Emanzipation bedeutet aus dieser Perspektive die Gleichstellung der Frau mit dem Mann auf dem Arbeitsmarkt.
Diese Sicht halte ich für sehr einseitig. Aus zwei Vollzeit arbeitenden Elternteilen resultiert in der Regel die absolute Zeitnot. Neben Arbeit und Familie bleibt keine Zeit mehr. Nicht für Sport, nicht für Arztbesuche, nicht für das Telefonat mit der Freundin. Das Ziel von Arbeits- und Familienpolitik sollten nicht möglichst viele Eltern in Vollzeitbeschäftigung sein, sondern die Möglichkeit, Arbeit und Familie so zu vereinbaren, dass tatsächlich beides Platz hat.
Care-Arbeit in gleichem Maße für Frauen und für Männer
Es war eine falsche Annahme, dass Gleichstellung dadurch gelänge, dass Frauen ähnlich berufstätig sind wie Männer. Erst andersherum wird ein Schuh draus: Wenn Männer ebenso viel „Care-Arbeit“ (oder: „Fürsorge-Arbeit“) übernehmen und ebenso viel in „typischen“ Frauenberufen stecken, ist die Emanzipation erreicht. Beide Seiten bewegen sich – bis ein Gleichgewicht entsteht. Deswegen ist mein Credo: Teilzeit für alle!
Heute ist es oft so, dass Mütter auf dem Arbeitsmarkt mit Vätern konkurrieren, die viel Care-Arbeit abgeben. Solche Männer können erfolgreich sein und trotzdem eine „schöne Familie“ haben – die wird nämlich von der Frau gemanagt. Was im Einzelfall kein Problem ist, führt in der Masse dazu, dass jede Hausfrau und jeder vollzeitarbeitende Mann dazu beitragen, dass teilzeitarbeitende Mütter auf dem Arbeitsmarkt chancenlos sind. Und das, obwohl ihre Motivation und Leistung relativ zum Stundeneinsatz oftmals besser sind als bei solchen Menschen, die unendlich viel Zeit für die Bearbeitung ihrer beruflichen To-Do-Liste haben (siehe dazu mein Video zu berufstätigen alleinerziehenden Müttern). Gleichzeitig sind diese traditionellen Familienmodelle der Grund für die finanzielle Schieflage zwischen Männern und Frauen, die faktisch immer noch eine klare Abhängigkeit der Frauen von ihren Männern beschreibt.
Hört sich alles nicht so wirklich nach gelungener Vereinbarkeit an, oder? Ich verrate euch, wo der Haken liegt: Die 40-Stunden-Woche ist für Vereinbarkeit nicht geeignet. Und da kommt New Work ins Spiel!
Karriere ist nur in der 40-Stunden-Woche möglich
New Work beschreibt ein alternatives Konzept von Arbeit. Der österreichisch-US-amerikanische Begründer Frithjof Bergmann sah das Ende der „herkömmlichen Lohnarbeit“ kommen und beschreibt stattdessen drei verschiedene Arten von Arbeit: Neben der Lohnarbeit stehen die konsumtive Arbeit und das, was wir wirklich gerne machen. Wenn die Lohnarbeit nicht mehr im Zentrum unserer Arbeit steht, sondern nur noch ein Drittel unserer Zeit beansprucht, werden andere Bereiche automatisch aufgewertet und es bleibt mehr Zeit für Kreativität und Selbsterfüllung. Zentrale Werte der New Work sind Selbstständigkeit, Freiheit und Teilhabe an der Gemeinschaft.
New Work in kurz: Das sind dann vor allem Arbeitskonzepte jenseits der 40-Stunden-Woche, die heute dank der Digitalisierung möglich sind. Warum? Zum einen, weil wir heute so viel produktiver sind als früher, und zum anderen, weil viele repetitive Aufgaben automatisiert werden können. Und die Idee: Wenn wir weniger Zeit mit Lohnarbeit verbringen, haben wir mehr Zeit für andere Dinge – zum Beispiel für unsere Familie. Für unsere Kinder, für unsere Eltern.
Im Moment gilt die 40 Stunden Woche noch als Regel – und damit ist auch Karriere nur in der 40-Stunden-oder-mehr!-Woche möglich. Wenn es aber eine 40-Stunden-Woche für Karriere braucht, werden Eltern und insbesondere Frauen, die Karriere machen wollen, Care-Arbeit reduzieren.
Care-Arbeit wird dadurch entwertet: Entweder, weil sie aufs Minimum reduziert zusätzlich zur Erwerbsarbeit geleistet wird – quasi nebenbei. Oder dadurch, dass sie ersetzt wird – Stichworte Nanny, Putzfrau, eigene Eltern ins Pflegeheim nach Osteuropa. Als seien Beziehungen bepreisbar.
Individuell tragisch, gesellschaftlich fahrlässig
Frauen geben für ihre Karriere Care-Arbeit ab oder geben für die Care-Arbeit ihre Karriere auf: Dieses aktuell vorherrschende System ist nicht nur individuell tragisch, sondern auch gesellschaftlich fahrlässig. Es wird ein großes intellektuelles und wirtschaftliches Potential verschenkt, wenn qualifizierten Müttern und Eltern der Zugang zum Arbeitsmarkt erschwert wird. Wenn Karriere zudem nur auf Kosten anderer Care-Arbeiter/innen möglich wird, zeigt dies, dass die Bedeutung von Fürsorge und reproduktiver Arbeit nicht ausreichend Wertschätzung erhält.
Aus meiner Sicht gibt es dafür aber eine Lösung: Karriere muss jenseits der 40-Stunden-Woche möglich sein. Und das wiederum gelingt dann, wenn Männer und Frauen, unabhängig von Elternschaft, regulär weniger Stunden mit Lohnarbeit verbringen. Weniger Stunden Lohnarbeit bedeutet mehr Chancengerechtigkeit. New Work ist die Lösung. Für Frauen – und für Männer!
Für Männer, weil es gesünder ist und weil sie so standardmäßig mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen. Für Frauen, weil sie nur durch die Reduzierung der Präsenzkultur und durch die Reduzierung der Stunden die Zeit und Ressourcen für echte Vereinbarkeit erhalten.
Lohnarbeit agil gestalten
Es ist Zeit, die Menschen und ihre Beziehungen in den Mittelpunkt unseres Lebens zu rücken. Kinder sind nicht flexibel, aber Lohnarbeit kann heute agil organisiert werden. Das ist Emanzipation. Nicht der Frauen, sondern der Menschen; vom Primat der Lohn-Arbeitswelt.
Dr. Charlotte Echterhoff ist Medienwissenschaftlerin und widmet sich seit über 15 Jahren dem Thema Medien und Bildung. Während ihrer Promotionszeit wurde sie Mutter und startete danach die Jobsuche. Ihre Erfahrungen als arbeitssuchende, hochqualifizierte Mutter reflektierte sie auf ihrem Youtube-Kanal „Mensch Frau“. Als berufstätige Mutter beschäftigt sie sich weiterhin mit Arbeits(zeit)modellen und stellt politische Forderungen zur Vereinbarkeit auf den Prüfstand. Sie und ihr Mann sind beide in Teilzeit angestellt und teilen sich die Care-Arbeit mit den Kindern bestmöglich auf.
Weiterschauen:
Jobsuche als Mutter: https://youtu.be/pLpnTeNtSKE
Es gibt keine Wahlfreiheit für Mütter: https://youtu.be/E6zJNe3vAUg
Kinder und oder Karriere: https://youtu.be/L31toFlquQU
Berufseinstieg in Teilzeit: https://youtu.be/iOgT3C0fkhE
Familie und Beruf. Vereinbarkeit, the real deal: https://youtu.be/gpqUORXCnuQ
Die Zahl der alleinerziehenden Mütter ist gross und für die heisst es: weniger Lohnarbeit = weniger Lohn.
Viele können sich das nicht leisten, auch wenn sie gerne würden und Selbstverwirklichung sowie Familien-Quality-Time dringend nötig hätten.
Welche Ideen hast du zu diesem Thema? Das würde mich sehr interessieren! Danke:)
Liebe Munja,
ich finde, gerade das Beispiel Alleinerziehender zeigt, dass es so nicht weitergehen kann. Das alleinerziehende Elternteil reibt sich total auf und kann kaum mehr an sich selbst denken, ist gefangen in Rollen. Interessanter Weise habe ich aber auch herausgefunden, dass Lohnarbeit an sich nicht schlecht ist für Alleinerziehende, im Gegenteil. Wenn dich das Thema interessiert, schau mal hier: https://youtu.be/bh6OLtr5ZTQ
Auch hier gilt: Flexibilität und Vertrauen in die Arbeitnehmenden, teilweise auch Abstand nehmen von Zeit als Bezahlungsgrundlage und mehr auf das Erreichte schauen, das sind Möglichkeiten, die Vereinbarkeit der Rollen zu ermöglichen.
VG
Ein sehr guter Beitrag! Erst wenn Männer genauso an der Care-Arbeit beteiligt werden dürfen (!) und die Wichtigkeit dieser Aufgabe von der Gesellschaft erkannt wird, sind wir wirklich emanzipiert und kommen auch als Gesellschaft unserer Solidarverpflichtung nach. Im momentanen System wird Familien die Möglichkeit genommen, sich umeinander zu kümmern und zu arbeiten. Ich finde den Gedanken auch gut, in Care-Arbeitszeiten weniger arbeiten zu können und später oder davor mehr, denn diese Care-Arbeit stärkt unsere Gesellschaft und fördert auch die Produktivität. Wichtig ist, dass auch Alleinerziehenden diese Möglichkeit gegeben wird. Menschen, die immer nur gehetzt sind, sind weniger produktiv und können auch leichter ausbrennen. Mehr Miteinander und Füreinander!
Ich fänd ja eine verpflichtende Elternzeit für Männer von sechs Monaten sinnvoll.
Liebe Inga,
ich glaube auch, dass das etwas bringen würde. Es würde auf jeden Fall die Eltern mehr zusammen bringen und den Unterschied zwischen Müttern und Vätern reduzieren. Ich hoffe, dass das Kinderkriegen/Elternwerden dadurch nicht abgewertet oder noch weiter zurückgestellt würde.
VG Charlotte
Das ist auch eine interessante Frage: Wenn Männer mehr in der Pflicht wären, wenn Care-Arbeit nicht mehr Frauen-Arbeit wäre – würde das die Care-Arbeit aufwerten oder würden die Väter auch etwas dieser Abwertung durch Familienarbeit abbekommen?
Ich denke, es würde die Care-Arbeit aufwerten.. Vielleicht werden wir es noch erleben
Liebe Antje, hier sprichst du einen wichtigen Punkt an. Die Übernahme von Care-Arbeit und die Reduktion von Stress wird der gesamten Gesellschaft zugute kommen. Ich denke wirklich, dass es ohne die Männer /Väter nicht gehen wird und glaube, dass wir mehr für deren Carearbeit machen müssen als für sie Berufstätigkeit der Frauen /Mütter. Wenn du willst, schau dir dazu noch dieses Video an: https://youtu.be/Zs9JTmLgsL0
VG Charlotte