Die Zeiten, in denen bei Familienthemen in Unternehmen die Nase gerümpft wurde, sollten endlich vorbei sein, fordert Katrin Bringmann. Hier zeigt sie, warum es strategisch schlau ist, sich auf Eltern einzustellen.
Was ist jungen Arbeitnehmer/innen heute wichtig? Sie möchten Beruf und Familie in Einklang bringen. Mehr als 90 Prozent möchten sich laut Forschungsindex 2017 in Zukunft gemeinsam um ihre Kinder kümmern und vor allem Väter treiben hier einen Wandel voran: Viele streben offenbar die partnerschaftliche Aufteilung von Familien- und Jobzeiten an. Mehr als ein Drittel der Väter nehmen Elternmonate in Anspruch und Mütter möchten oft stärker erwerbstätig sein und Karriere machen – das Interesse an einer Balance zwischen Familie und Job ist demnach deutlich gestiegen und ganz anders als noch vor 20 Jahren. Man sollte also meinen, die Zeit von „Frau erzieht die Kinder und schmeißt den Haushalt, während der Mann schuften geht und Geld ranschafft“, stirbt langsam aber sicher aus.
Wenn man allerdings tatsächlich einmal tiefer hineinschaut in das, was in einigen Unternehmen zurzeit insbesondere mit Müttern passiert – dann wird einem einfach nur übel.
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Gekündigt am ersten Tag nach der Elternzeit
Nehmen wir Elena: Nachdem sie aus der Elternzeit an ihren Arbeitsplatz zurückkam und wieder voll einsteigen wollte, legte ihre Führungskraft ihr 1000 Steine in den Weg und gab klar zu erkennen, dass eine Mutter in Vollzeit, die sich nach familienfreundlichen Arbeitszeiten und einem Tag Home-Office erkundigte, nicht als wirkliches Potenzial im Unternehmen angesehen wird. “Ach, nehmen Sie sich ruhig etwas zurück – wir haben die schwierigeren Aufgaben an Kollegin X gegeben, so können Sie sich besser auf Familienleben und Arbeit konzentrieren…“ Elena wurde fuchsteufelswild: “Ich komme doch nicht zurück in meinen Job, um dann hier eine ruhige Kugel zu schieben und abgewertet zu werden! Ich habe Lust, das Unternehmen weiter aufzubauen, ich möchte die nächste Gehaltsstufe erklimmen und ich weiß, dass ich das kann. Mit Kind mindestens genauso gut, wenn Sie bereit sind, die Arbeitsorganisation ein wenig umzustellen!“ Doch ihr Chef lächelte nur milde und klopfte ihr beruhigend auf die Schulter.
Oder Petra: Direkt am ersten Tag nach ihrem Wiedereinstieg bekam sie die Kündigung in die Hand gedrückt. Ein totaler Schock und völlig überraschend für sie, die die Verbindung zu ihren Vorgesetzten und der Vertretung kontinuierlich gehalten und dennoch keine Ahnung davon hatte, was hinter ihrem Rücken gespielt wurde. Nach einem Jahr zu Hause mit Kind voller Elan und stolz wie Bolle in ihre Abteilung zurückzukommen – das hatte sie sich anders vorgestellt. „‚Aus betrieblichen Gründen‘, da kann man nichts machen, Frau M. Die Interimskraft ist einfach um ein Vielfaches preiswerter und hat ihren Job auch recht gut gemeistert. Wir brauchen Sie hier nicht mehr.“ Petra fiel erst einmal in ein tiefes Loch und konnte es gar nicht glauben: Darf man das überhaupt? Ja, man darf – ab dem ersten Tag nach der Elternzeit greift kein Kündigungsschutz mehr. Was für eine bodenlose Frechheit.
Und schließlich Katja, deren ehemalige Auszubildende von ihr selbst an den Job herangeführt und ihr dann nach der Elternzeit als direkte Vorgesetzte vor die Nase gesetzt wurde – obwohl sie an Erfahrung und Kompetenz bei weitem nicht an Katja herankommt. Was für ein Disaster!
Vereinbarkeit im Job ist keine Nettigkeit
Drei Beispiele, die ich um viele weitere ergänzen könnte, denn als Karrierecoach und Spezialistin für das Thema Wiedereinstieg und Vereinbarkeit höre ich viele solcher Geschichten – die man in der heutigen Zeit des angeblich so brennenden „Fachkräftemangels“ in einer Stadt wie Berlin nicht für möglich halten würde. Wo sind denn nun all die agilen Manager, Scrum Master und New Work Spezialist/innen, die geschnallt haben, dass man heutzutage gute Mitarbeiter/innen nur bekommen und halten kann, wenn man sich auch auf diese einstellt? Und bestimmte Bedingungen schafft, die die Vereinbarkeit von Job und Familienleben vereinfachen? Und zwar nicht als Zugeständnis oder aus Nettigkeit, sondern weil es ansonsten keine vernünftige Zukunft für unser Land geben wird und sie somit selbstverständlich sein sollten.
Familienfreundlichkeit im Unternehmen – das schreiben sich viele Organisationen, Unternehmen und Firmen auf die Fahnen – doch wie sehr ist dieses nur ein Lippenbekenntnis? In einer Diskussionsveranstaltung, die ich kürzlich anlässlich der Verleihung eines Familiensiegels an familienfreundliche Unternehmer/innen moderiert habe, wurde deutlich, dass sich die beteiligten Firmen zu vielen guten Dingen haben hinreißen lassen, um als familienfreundlich zu gelten.
Führen in Teilzeit? Das geht – und zwar sehr gut
Da wurden Wickeltische aufgebaut, Stillecken eingerichtet, Kisten mit Spielzeug bereitgestellt und flexible Arbeitszeiten für die jungen Eltern vereinbart sowie ein Extra-Urlaubsplan für Eltern mit schulpflichtigen Kindern eingerichtet. Das ist schon mal bemerkenswert – doch diese Maßnahmen allein reichen nicht, um wirklich familienfreundlich zu sein. Vielmehr muss das Mindset aller Führungskräfte und Mitarbeiter tatsächlich offenbaren: Wir haben ein Herz für Kinder und die Belange ihrer Eltern! Und wir setzen uns dafür ein!
Als mittlerweile selbstverständlich sehen viele junge Eltern nämlich darüber hinaus flexible und vor allem auch kürzere Arbeitszeiten (gern im Tausch gegen ein geringeres Gehalt), mobiles Arbeiten, keine Meetings nach 16 Uhr, finanzielle Unterstützung bei der Kinderbetreuung oder ein Platz in der betriebsinternen Kita, Freistellungsmöglichkeiten für bestimmte familienintensive Zeiten und die Erleichterung des Wiedereinstiegs nach der Elternzeit durch Kontakthalte- oder Wiedereinstiegsprogramme. Hinzu kommen flexible Führungsmodelle und Teilzeit auch für Mitarbeiter/innen in Führungspositionen – ja, Führen in Teilzeit, das geht und zwar sehr, sehr gut.
“Teilzeitführung darf als wirtschaftlich sinnvoll, gesellschaftlich erwünscht und politisch gefördert gelten. Gerade die zuletzt ‚neu entdeckten‘ Zielgruppen auf dem Arbeitsmarkt – gut ausgebildete Frauen, ältere Mitarbeitende, die Generationen Y/Z – stellen Anforderungen in diese Richtung und veranlassen viele Arbeitgeber zum Umdenken“, sagt etwa Prof. Dr. Anja Karlshaus, Professorin an der Cologne Business School.
Die Zeiten haben sich geändert
Es geht natürlich nur, wenn die Leidenschaft für eine starke Präsenzkultur abgelegt wird und Teilzeitarbeit nicht mit mangelnder Leistungsbereitschaft oder Leistungsunvermögen verknüpft sind.
„Ja, wo kommen wir denn da hin? Das Leben ist kein Wunschkonzert!“, meinen alteingesessene Kolleg/innen und Führungskräfte, die selbst nie in den Genuss solcher familienfreundlichen Maßnahmen gekommen sind und sich auch „durchbeißen mussten.“
Doch die Zeiten haben sich nun mal geändert und wer heute qualifizierte, gut ausgebildete, eigenverantwortlich handelnde und vor allem motivierte Mitarbeiter/innen haben möchte, muss tiefer in die Familienfreundlichkeitskiste greifen! Und vor allem ein Mindset für sich selbst entwickeln, das deutlich macht: Wir sehen Kinder und Familien als Bereicherung an. Ein Mindset, das viele Varianten von Vereinbarkeit erlaubt, eine Haltung als Führungskräfte und Kolleg/innen, Vereine und Organisationen, die offen, sozial, familienzugewandt, wertschätzend ist, ein Mindset, das Familie und Kinder als die Zukunft sehen – und nicht als störendes Hindernis in einer 80-Stunden-Woche.
Führungskräfte sollten Vereinbarkeits-Vorbilder sein
Dazu gehört, dass auch Führungskräfte, egal ob männlich oder weiblich, selbst Vorbild in Sachen Familienfreundlichkeit sind und sich auch einmal Auszeiten für die Familie nehmen – etwa, wenn das Kind früher aus der Kita abgeholt werden muss, wenn eine Schulveranstaltung ansteht oder ein pflegebedürftiger Angehöriger kurzfristig versorgt werden will: Was ist bitte dabei? Warum sollte dies etwas Verwerfliches sein? Je selbstverständlicher alle Kolleg/innen mit dem Thema umgehen, desto schneller werden sich Haltungen hierzu auch ändern und als gut befunden werden. Schauen wir nach Skandinavien oder die Niederlande, so sehen wir, dass dies das Selbstverständlichste der Welt ist.
Vor allem, was die Einstellung junger Mütter angeht, so können sich Unternehmen einfach nicht mehr leisten, diese als Bittstellerinnen zu behandeln und ihre Fähigkeiten abzutun, nur weil sie in der Zwischenzeit ein Kind bekommen haben. Sie sollten sie mit offenen Armen empfangen, denn das Potenzial, das diese jungen Frauen bieten, ist enorm: durch das Managen von Kind(ern) und Haushalt verfügen sie neben ihrer beruflichen Expertise über wichtige Qualitäten: exzellentes Zeitmanagement, Teamfähigkeit, Verantwortungsbewusstsein, Selbstständigkeit und Verlässlichkeit.
Welche Vorteile hat also eine echte familientaugliche Haltung?
So einige:
- Geringere Fluktuation und höhere Bindung der MA an das Unternehmen
- Längere Betriebszugehörigkeit
- Höhere Rückkehrquote nach der Elternzeit
- Einfachere Rekrutierung von Fachkräften – und ein guter Ruf!
- Geringere Fehlzeiten
- Zufriedene und motivierte Mitarbeiter
Also unterm Strich: weniger Kosten – mehr Gewinn. Wir alle wissen, eine hohe Fluktuation, der Verlust gut eingearbeiteter, qualifizierter Mitarbeiter/innen, viele Fehlzeiten und Fachkräftemangel – all dies kostet Unternehmen sehr viel Geld. Setzt man allerdings gute Ideen zur Familienfreundlichkeit und für eine bessere Vereinbarkeit von Privatleben und Workload um, so lohnt sich dies für alle!
Ich habe noch weitere Ideen:
- Man kann in einer Firma ein internes informelles Netzwerk für Betreuungsnotfälle etablieren.
- Man kann Ferienbetreuungsangebote für Schulkinder organisieren und sie auch finanziell unterstützen.
- Firmen könnten die Kosten für Kinderbetreuung einfach komplett übernehmen.
- Unternehmen könnten Langzeit-Arbeitszeitkonten zur Freistellung der Mitarbeiter für besonders anstrengende Familienzeiten oder auch zur Freistellung für eine Auszeit wie ein Sabbatical einrichten.
- Sie könnten bezahlten Urlaub gewähren bei wichtigen Familienereignissen oder während der Kita-Eingewöhnung.
- Oder eben auch Führen in Teilzeit als Tandem ermöglichen.
Mein persönliches Fazit: Früher galt ein nicht-familienfreundliches Verhalten als ungerecht und unfair – heute ist es aus strategischer Sicht der Unternehmen darüber hinaus einfach nur dumm. Denn die Elenas, Petras und Katjas sind längst bei progressiven, modernen und echt familienfreundlichen Unternehmen eingestiegen, die ihr großes Potenzial zu nutzen wissen und dadurch zukunftsfähig bleiben – trotz des Fachkräftemangels.
Katrin Bringmann ist Geisteswissenschaftlerin und als Personalentwicklerin, Karrierecoach und Moderatorin für Industriebetriebe, Banken und Organisationen tätig und lebt mit ihrer Familie in Berlin. Sie ist Expertin für die Themen Effizienter Wissenserwerb, Neues Lernen & Produktivität und neuerdings Buchautorin: ihr Buch „Working Mom – 20 Power Tools für den Wiedereinstieg in den Job“ (*nicht nur für Mütter) befasst sich mit Techniken des Selbstmanagements und der Karriereplanung, vor allem für diejenigen, die Beruf und Familie unter einen Hut bringen wollen und für Frauen, die nach ihrer ‚Kinderzeit‘ wieder anfangen wollen zu arbeiten.