Seit nunmehr 28 Ausgaben schreibt die Politikwissenschaftlerin Alice Greschkow für das New Work Briefing zu den Themen Neue Arbeit und gesellschaftliche und politische Gestaltung. Zeit, mal ein wenig Licht auf die Person Alice zu werfen – wir haben sie gefragt: Wie ist sie zum Thema gekommen? Was steht für Sie im Kern von Neuer Arbeit? Und wie nimmt sie die gesellschaftlichen Debatten wahr?

Liebe Alice, was steht für Dich im Zentrum von Neuer Arbeit?
Ich bin davon überzeugt, dass Arbeit eine der wichtigsten Stellschrauben im privaten und wirtschaftlichen Leben ist  und zwar für nahezu alle Menschen. Kaum jemand kann es sich leisten gar nicht zu arbeiten. Arbeit entscheidet darüber, wie viel Freizeit ich habe und wie ich diese gestalten kann. Arbeit kann ein Integrationsmotor und ein gesellschaftliches Aufstiegsvehikel sein. Arbeit kann die Ursache von Belastung, aber auch die Chance für Selbstverwirklichung sein. All das ist nicht neu.

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Aber im Zentrum von Neuer Arbeit steht für mich ein neues Verständnis von Beschäftigten, die eben nicht nur ihre Produktivität gegen Geld eintauschen, sondern in ihrer Gänze im Job auftreten – mit ihrem familiären Umfeld, ihren individuellen Wünschen und Fähigkeiten. Neue Arbeit erfordert ein neues Vertrauen von Führungskräften zu Beschäftigten, um auf diese individuellen Wünsche einzugehen. Das Vertrauen ist der erste Schritt dafür, dass man eine Arbeitswelt gestaltet, die humaner und verständnisvoller ist.

Hast Du das Gefühl, dass dieses neue Vertrauen auch tatsächlich immer wichtiger wird, dass es dafür eine Sensibilisierung gibt in den Unternehmen?
Man sieht definitiv, dass die Debatten da sind. Man spricht über Diversität, mentale Gesundheit, Burnout, Work-Life-Balance und sogar mancherorts über Job-Sharing und Führung in Teilzeit. Diese Debatten sind keine Selbstverständlichkeit und sie sind ein Zeichen dafür, dass sich die Perspektiven langsam ändern. Aber Debatten sind im ersten Schritt nur Debatten  leider sind sie manchmal auch Schein- oder Wohlfühldebatten.

Es ist leicht, darüber zu sprechen, dass Unternehmen divers und modern sind, aber man sieht sehr viel seltener, dass Taten folgen. Teilweise fehlt es an Wissen, wie man beispielsweise moderne Arbeitszeitmodelle entwickeln kann oder es fehlt an Unterstützung seitens der Führungsebene, weil das Altbekannte doch bequem und sicher scheint. Dies ändert sich gezwungenermaßen wegen des Fachkräftemangels, doch ich denke, man muss sehr viel stärker über praktische Beispiele sprechen, die Unternehmen als Inspiration nutzen können.

Wie bist Du selbst zum Thema Neue Arbeit gekommen?
Meine Begeisterung für das Thema Arbeit fing im Studium an. Ich erinnere mich an einen Kurs im Bereich der politischen Ökonomie, wo die Dozentin fragte, weshalb Arbeit volkswirtschaftlich gern stiefmütterlich behandelt wird, wenn es doch die kleinste Einheit für Produktivität, Erfolg und Gewinn von Unternehmen ist. Ich fing dann an, genauer hinzuschauen: Wer hat zu welchen Jobs Zugang? Wer wird befördert? Warum wählen Menschen die Berufe, die sie wählen? Was sind die Folgen, wenn man sich dem Arbeitsleben verwehrt? Für mich kam ein sehr komplexes Bild heraus, das Ungleichheiten, Chancen und viele gebrochene Biografien beinhaltet. Daraufhin begann ich zu schauen, wie man dies besser machen könnte.

Und wie könnte man es besser machen?
Man kann natürlich immer an den großen Schrauben drehen und offensiver im Politik-, Ethik- oder Wirtschaftsunterricht an Schulen darüber sprechen, welche Rolle Beschäftigung in einem marktwirtschaftlichen System spielt und was dies für den einzelnen bedeutet. Oder man kann darauf hoffen, dass die Bundesagentur für Arbeit ein neues und breitgefächertes Bild davon skizziert, wie die Zukunft der Arbeit aussehen kann. Aber diese Hebel bewegen sich nur langsam. Ich denke, in der kleinen Ebene kann man viel erreichen, wenn man mit Freund/innen, Jugendlichen oder Kolleg/innen ehrlich darüber spricht, welche Enttäuschungen und Lehren man selbst im Arbeitsleben mitgenommen hat. So müssen andere die eigenen Fehler nicht wiederholen.

Du warst zuerst im Frauen-Thema unterwegs. Warum hast Du Deinen Fokus auf das Thema Neue Arbeit erweitert?
Die Arbeitswelt ist traditionell hierarchisch organisiert und bestimmte Eigenschaften und Fähigkeiten werden mehr wertgeschätzt als andere. Historisch haben Frauen dadurch einen Nachteil erfahren. Die handwerkliche Arbeit von Männern wurde immer besser vergütet als die körperlich anstrengende Pflege, die hauptsächlich von Frauen gestemmt wird. Frauen haben aufgrund von Kindererziehung und Sorgearbeit auch immer einen anderen Zugang zu Arbeit gehabt.

Es ist für mich naheliegend, dass bei Neuer Arbeit Frauen eine große Rolle spielen, weil die traditionellen Hierarchien für sie nicht gleichermaßen greifen. Allerdings betrifft dies mitnichten nur Frauen: Menschen wollen im Allgemeinen heute mehr Individualität, unsere Gesellschaft ist heterogener und Zugang zu guter Arbeit und Einkommen ist somit noch wichtiger geworden.

Welche Rolle spielt das Thema Neue Arbeit in Deiner eigenen Arbeit?
Ich habe das Privileg, viel mit Unternehmen über Neue Arbeit sprechen zu dürfen und an Austauschformaten teilnehmen zu können. So kann ich ein Gespür dafür entwickeln, was große wie kleine Unternehmen gerade in punkto Neue Arbeit machen, welche Themen innerhalb einer Blase stattfinden und wo der Schuh wirklich drückt. Ich sehe da natürlich die großen Themen wie Unternehmenskultur und Digitalisierung, aber auch ganz pragmatische Fragen rund um Qualifizierung, Future Skills, lebensphasenorientierte Arbeitsmodelle und Gesundheitsvorsorge in den Unternehmen. Es ist spannend.

Wie arbeitest Du selbst? Ist Dir das „new-workig“ genug?
Ich finde schon, dass ich recht new-workig arbeite. Ich brauche zum Arbeiten nur meinen Laptop  ein großer Unterschied zur Papierablage vor fünf Jahren. Ich arbeite örtlich flexibel. Ich könnte auch zeitlich flexibler arbeiten, aber das möchte ich aktuell nicht. In meinem Umfeld herrscht darüber eine offene Gesprächskultur. Das bedeutet nicht nur, dass man sich duzt, sondern auch ansprechen kann, wenn es einem nicht gut geht. Ich habe zum Beispiel zu meiner Chefin nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges gesagt „Sorry, ich kann diese Woche nicht meine normale Leistung abrufen, mir macht der Krieg große Sorgen“  und das war dann auch okay.

Wie nimmst Du die Debatte in Deutschland wahr? Sind wir auf einem guten Weg?
Ich glaube nicht, dass es die eine Debatte dazu gibt. Es gibt einen allgemeinen Trend zu mehr Digitalisierung, aber das bedeutet nicht, dass Themen wie Führung und Arbeitsmodelle automatisch damit verbunden werden  oft geht es nämlich schlicht im digitale Infrastruktur. Es ist branchen- und unternehmensabhängig.

Ich sehe da auch komplett konträre Positionen: Während eine Gruppe mehr Flexibilität einfordert, will die andere Gruppe, dass Arbeit innerhalb eines Zeitrahmens „gezähmt“ bleiben soll. Letztere Gruppe fordert das Recht auf Nichterreichbarkeit und sieht es als Teil des Arbeitsrechts, dass Vorgesetzte einen nach Feierabend  welcher auch klar definiert sein soll  nicht mehr behelligen.

Und wie stehst Du dazu?
Ich finde Flexibilität unheimlich wichtig, aber angesichts der Burnout-Rate der vielen Menschen, die vorzeitig in Rente gehen müssen, weil sie schlicht körperlich ausgebrannt sind, würde ich auf der politischen Agenda Gesundheitsschutz stets bevorzugen. Es wirkt vielleicht altbacken, aber irgendwas scheint nicht zu stimmen, wenn wir ständig über mentale Gesundheit und Flexibilität reden, aber gleichzeitig die Krankschreibungen wegen mentaler Belastung ansteigen. Das Bewusstsein für die Problematik führt offenbar nicht zu besseren Ergebnissen.

Und Dein Ausblick: Was bräuchten wir dringend für die Zukunft?
Ich bin mittlerweile an den Punkt gekommen, dass ich vom „New Work“-Sprech abrücke. Mir scheint, als gäbe es zu viel Verwirrung  muss man ganz treu den Thesen Frithjof Bergmanns folgen oder darf man das Konzept weiterentwickeln? Die Art, wie Neue Arbeit begriffen wird, ist sehr unterschiedlich und ich denke nicht, dass diese Theoriedebatten zielführend sind.

Für mich ist das Ziel, eine ehrliche Diskussion dazu zu entwickeln, was gute Arbeit im Jahr 2022 bedeutet und an diesem Punkt inklusiver zu sein, als es bisher der Fall gewesen ist. Ich will hören, was die Maschinenbauer/innen, die Bäcker/innen, die Bürokaufleute und Erziehenden an den Kindergärten denken. Wenn man unterschiedliche Perspektiven und Fälle zulässt, merkt man nämlich, dass es nicht den einen richtigen Weg gibt und man individuell schauen muss, was die Menschen brauchen.

Das New Work Briefing erscheint alle zwei Wochen. Hier kannst Du es kostenfrei abonnieren. 

Alice Greschkow (Bild: Promo)

Alice Greschkow (Bild: Promo)

Alice Greschkow ist Politikwissenschaftlerin mit Leidenschaft für New Work. Sie lebt und arbeitet seit 2015 in Berlin und verbindet beruflich politische und wirtschaftliche Themen.

 

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