„Es ist 2021 und mancherorts wird noch immer gefaxt!“, kritisiert Alice Greschkow, Expertin für die Transformation der Arbeitswelt. Alles um uns herum verändert sich, nur unsere Art zu arbeiten – da trauen wir uns nicht ran. Warum eigentlich nicht?
„Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten“ lautet eine Online-Binse, die fälschlicherweise Albert Einstein zugeordnet wird. Dennoch ist viel dran. Wenn man Prozesse oder Aufgaben wiederholt, dann tut man das, um ein bestimmtes Ergebnis zu verbessern. Das nennt man Übung. Die Wiederholung taugt allerdings nichts, wenn man im Grunde andere Ergebnisse erzielen möchte – oder gar merkt, dass der eigentliche Prozess dysfunktional ist.
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Produkte und Prozesse verändern sich – aber nicht unsere Arbeit
Veränderung tut den meisten Menschen weh. Sie mögen es, wenn sie sich in vertrauten Gefilden bewegen. Aber es hilft nichts – so wie der Mensch aus der Höhle kroch, kroch er irgendwann in ein Büro. Auch wenn der Prozess ähnlich aussieht – aus der Höhle raus, rein in ein Büro – so ist er doch fundamental unterschiedlich. Wir Menschen agieren auf vollkommen andere Art und Weise als noch vor 100 Jahren. Unsere Werte und Normen sind anders – wir verstehen das Verhältnis zwischen den Geschlechtern, Minderheiten und einst feindlichen Staaten komplett anders. Das alles ist Teil des technologischen und gesellschaftlichen Fortschritts.
Nur in einer Sache kommt der Fortschritt kaum vor: In der Art wie wir arbeiten. Als vor über 100 Jahren die Fließbandarbeit entwickelt wurde, ergab sie Sinn und bereitete den Weg zum industriellen Aufstieg vor: Jeder Arbeitende – damals waren es meistens Männer – erhielt eine spezielle Aufgabe in einem Fertigungsprozess. In dieser spezifischen Aufgabe wurde er immer schneller und geübter. Reihte man viele Arbeitende aneinander, die jeweils eine spezifische Aufgabe verrichten, erhält man ein effektives Fließband. Perfekt für schnelle Fertigungsprozesse en masse!
Das Fließbandmodell entfremdet uns von unserer Arbeit
Dieses Fließbandmodell wurde später auf bürokratische Tätigkeiten übertragen – jeder verrichtete eine spezifische Aufgabe und reichte das Projekt oder das Dokument nach Fertigstellung weiter. Eine hierarchische Ordnung beobachtete, ob alles korrekt vonstatten ging und sorgte im Zweifel dafür, dass eine Kurskorrektur vorgenommen wurde.
Allerdings muss man kein Karl-Marx-Fan sein, um eines der Probleme zu erkennen, das der Philosoph identifiziert hat: Diese Entfremdung von unserer Arbeit macht uns als Menschen unglücklich. Wenn wir nur ein Zahnrädchen in einem System sind, bauen wir keine Bindung zum Produkt oder der Dienstleistung auf, an der wir beteiligt sind – wir sehen nämlich selbst kaum die Ergebnisse unseres Wirkens.
Um diesem Problem entgegenzuwirken, haben sich kluge Leute etwas einfallen lassen: Die Motivationstheorie. Die Historikerin Sabine Donauer beschreibt in ihrem Buch „Faktor Freude“ den historischen Ursprung der intrinsischen Motivation in der Nachkriegszeit – angewandt auf das Fabrikmodell. Die innere Verbindung von Selbstverwirklichung und der getanen Arbeit war das Ziel diverser Betriebswirte.
Man kann sagen, dass diese Modelle erfolgreich waren: Millionen von Menschen arbeiten noch nach dem Fabrik-Prinzip und einer Führung, die nach dem Modell „Kommando & Kontrolle“ agiert und die sie auf der Grundlage von Beobachtungen von vor 60 Jahren motiviert.
Die Digitalisierung braucht iterative Prozesse!
Natürlich hat es Sinn gemacht, industrielle sequenzielle Prozesse zu entwickeln – sie haben den heutigen Wohlstand erst ermöglicht. Aber in den vergangenen Jahrzehnten hat sich vieles verändert und in Deutschland kleben noch so viele Unternehmen und Arbeitnehmer/innen an der Vergangenheit, dass sie den Bedarf für neue Lösungen nicht erkennen.
Die Digitalisierung und Globalisierung haben Arbeitsprozesse um ein Vielfaches beschleunigt. Produkte werden nicht mehr in sequenziellen linearen Prozessen entwickelt, sondern in iterativen Abläufen, bei denen Kollaboration und ständige Verbesserung vordergründig sind – zumindest, wenn man mehr Geschwindigkeit und Wettbewerbsfähigkeit bewahren will.
Gleichzeitig haben diese Trends einen Effekt auf die Menschen: Während auf der einen Seite Burnout und Belastungserscheinungen durch das hohe Tempo dominieren, herrschen auf der anderen Seite Resignation und Frust, weil alles zu langsam geht und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an Boreout leiden.
Arbeit ehrlich und offen neu denken
Diese Dichotomie schreit danach, Arbeit ehrlich und offen neu zu denken. Es kann nicht sein, dass alte Prozesse noch immer als das Nonplusultra bewertet werden, wenn es offenkundig Probleme gibt!
Dies wurde insbesondere in der Corona-Pandemie deutlich. „Warum ist die öffentliche Verwaltung so langsam?“, „Warum wird noch immer gefaxt?“, „Warum gibt es keine klaren Zuständigkeiten?“ – das sind Fragen, die sich viele Menschen in den vergangenen 12 Monaten gestellt haben. Diese offenkundigen Schwierigkeiten sollten Anlass genug sein, um Arbeitsprozesse, insbesondere in der öffentlichen Verwaltung, moderner zu gestalten.
Es ist 2021 und mancherorts wird noch immer gefaxt – das darf nicht der Standard dieses Landes sein! Das kann nicht das Niveau sein, mit dem Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich zufrieden geben müssen.
Es ginge anders – wenn man bereit wäre, alte Modelle, die nicht mehr zeitgemäß sind, loszulassen und Raum für agile, kollaborative und ergebnisorientierte Prozesse zu machen. Vielleicht war der Paukenschlag durch die Corona-Krise nötig, damit es langsam voran geht. Sonst faxen wir noch im Jahr 2030…
Alice Greschkow hat Internationale Beziehungen studiert und lebt und arbeitet seit 2015 in Berlin. Nach Stationen in der Politikberatung und Kommunikationsbranche, widmet sie sich als Beraterin und Autorin dem Thema „Transformation der Arbeitswelt“.
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