Unsere Arbeit ist ungleich verteilt: Viele, die gern mehr arbeiten würden, können nicht – während die anderen mehr arbeiten, als sie eigentlich wollen. Besonders Geringverdienende arbeiten zu wenig. Woran liegt das? Auch an falschen politischen Anreizen, kritisiert Alice Greschkow. Und sie hat Ideen, was jetzt zu tun wäre.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat eine neue Studie veröffentlicht, die es in sich hat. Eine zentrale Erkenntnis: In Deutschland gibt es Millionen von Menschen, die gerne mehr arbeiten würden als sie es tun – doch die Arbeitsmodelle halten sie davon ab. Ein großes Problem in puncto Ungleichheit besteht nämlich nicht in den Stundenlöhnen, sondern in der Arbeitszeit. Und darauf muss die Bundesregierung reagieren!
Gutverdienende arbeiten mehr – Geringverdienende hingegen weniger
Das DIW ist der Frage nachgegangen, weshalb in Deutschland die finanzielle Ungleichheit weiterhin so ein merkliches Problem ist – und das trotz Einführung des Stundenlohns und trotz des wirtschaftlichen Booms in den letzten Jahrzehnten.
Was auffällt: Geringverdienende arbeiten immer weniger Stunden. 1993 waren 42 Stunden der unteren 20 Prozent der Einkommenshierarchie die Norm. 2018 waren es satte 10 Stunden weniger. Dies hat allerdings kaum mit dem herabwürdigenden Klischee zu tun, dass Geringverdienende schlicht „faul“ wären. Tatsächlich geben insbesondere Neu- und Wiedereinsteigende in das Arbeitsleben an, dass sie im Schnitt gerne vier Stunden pro Woche mehr arbeiten würden, als sie es tun. Auch Mütter geben an, dass sie lieber zwei Stunden mehr in die Erwerbstätigkeit pro Woche investieren würden.
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Das Phänomen hat schon längst einen Namen
Das Phänomen, das Menschen weniger arbeiten als sie es eigentlich wollen, nennt man Unterbeschäftigung. Sie ist insbesondere in Branchen problematisch, in denen die Stundenlöhne eher niedrig sind. Noch vor 30 Jahren konnten Menschen niedrige Löhne mit mehr Arbeitszeit ausgleichen und so ein besseres Einkommen erreichen.
Eine entgegengesetzte Dynamik lässt sich bei den oberen 20 Prozent der Einkommensverteilung beobachten: Gutverdienende arbeiten im Schnitt 38 Stunden pro Woche (ein klein wenig mehr als noch 1993), würden jedoch lieber drei Stunden weniger arbeiten. Sie sind somit überbeschäftigt.
Falsche Anreize und starre Arbeitsmodelle sind das Problem
Warum hat sich die Dynamik in den Arbeitszeiten so verändert? Die Forschenden des DIW sehen unter anderem die Mini- und Midijobs als Ursache für den Trend. Diese Beschäftigungsformen haben klare Verdienstgrenzen, die schnell erreicht werden – nach Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro voraussichtlich noch schneller. Mini- und Midijobs setzen einen falschen Anreiz, weniger zu arbeiten: Sobald Beschäftigte nämlich über ihre Verdienstgrenze arbeiten, steigen die Abgaben – mehr Arbeit lohnt sich nicht.
Die DIW-Expert/innen merken zudem auch an, dass es an flexiblen Arbeitsmodellen mangelt. Diese erklären insbesondere die Unterbeschäftigung von Müttern. Die Arbeitswelt bedenkt oft noch nicht die Lebensrealität von Müttern und lässt somit einen kleineren Pool an guten Verdienstmöglichkeiten für sie offen.
Es braucht Reformen!
Laut DIW hat die Bundesregierung Instrumente in der Hand, um das Thema der Unterbeschäftigung lösungsorientiert anzupacken. Höhere Verdienstgrenzen bei Mini- und Midijobs, die Einschränkung, dass diese Jobs lediglich für Schüler/innen und Studierende erlaubt sind oder die Abschaffung des Minijob-Modells – es gibt eine Reihe von Reformideen, um Arbeit lohnenswerter zu gestalten. Dafür bedarf es auch einer ehrlichen Prüfung davon, wer tatsächlich von Mini- und Midijobs profitiert.
Darüber hinaus braucht es mehr flexible Arbeitszeitmodelle, um die Menschen zu unterstützen, für die Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf eine hohe Priorität hat. An dieser Stelle ist jedoch nicht nur die Bundesregierung gefragt, sondern auch Unternehmen. Sie können die bestehenden Freiheiten auskosten, um Mütter stärker in Arbeit einzubinden, anstatt sie auf das Abstellgleis zu stellen. Führen in Teilzeit, Jobsharing und „vollzeitnahe Teilzeit“, die unterschiedliche Arbeitszeiten an jedem Wochentag gestattet – all diese Elemente können zu besserer Vereinbarkeit maßgeblich beitragen.
Oft scheitert Flexibilität nämlich nicht nur am rechtlichen Rahmen, sondern vor allem an der Unternehmenskultur. Wenn wir dann schon bei der Kultur sind, können wir auch auf die Überbeschäftigung schauen und uns fragen: Warum legen wir eigentlich so viel Wert auf Überstunden? Es scheint klar zu sein, dass Menschen in Vollzeit gerne weniger arbeiten würden – gleichzeitig bleibt die Zahl der Überstunden auf hohem Niveau. Vielleicht ist es an der Zeit darüber zu diskutieren, wie Arbeitszeit besser und fairer aufgeteilt werden kann…
Alice Greschkow ist Politikwissenschaftlerin mit Leidenschaft für New Work. Sie lebt und arbeitet seit 2015 in Berlin und verbindet beruflich politische und wirtschaftliche Themen.
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