Ein Vorgesetzten-Stellvertreter-System empfinden wir als total normal. Aber eine Doppelspitze? Viel zu teuer, viel zu kompliziert, hört man oft. Hier räumen Julia Collard und Sven Schnitzler mit ein paar Irrtümern auf.
Julia Collard und Sven Schnitzler leiten als Doppelspitze die Bereiche Vertrieb und strategisches Marketing sowie die Business School der Europäischen Fachhochschule. Daneben sind sie Gründer der Content- & Social-Media-Beratung Doppel[t]spitze. Sie sagen von sich selbst: Netzwerken und Lernen sind ebenso Leidenschaften wie der persönliche und virtuelle Austausch von Wissen zu New Work und dem Arbeiten der Zukunft.
Warum seid ihr immer zu zweit? Kostet das nicht doppelt so viel Geld? Das sind Fragen, die wir ganz häufig gestellt bekommen. Mathematisch gesehen haben wir eine sicher falsche, aber für uns absolut logische Rechnung dafür: 1+1 ist bei uns mehr als 2. Unsere Doppelspitze bildet Diversität in vielen Facetten ab.
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Natürlich – zwei Personen sind noch lange kein Multi-Kulti-Team, aber wenn wir die Dimensionen von Diversität betrachten sind wir schon ein ungewöhnlicher Mix: Auf der persönlichen Ebene sind wir zunächst Mann und Frau, gehören unterschiedlichen Generationen an, haben absolut verschiedene familiäre Hintergründe und naturgemäß nicht die gleichen körperlichen Voraussetzungen.
Betrachtet man die äußere Dimension, so könnten – für eine gemeinsame Managementposition – die beruflichen und akademischen Voraussetzungen kaum ungleicher sein. Und zum Zeitpunkt des gemeinsamen Starts waren auch der Status im Unternehmen, das persönliche Arbeitsumfeld wie auch die Rolle und die Wahrnehmung im Unternehmen wenig deckungsgleich.
Das war vor Doppel[t]spitze:
Svens Weg
Kompetenzen erlernt man durch Lebenserfahrung – wer sagt, dass die Kompetenzen eines Kochs nicht für eine Position als Leiter Marketing total passgenau sind? Denn Sven ist gelernter Koch. Kreativität, Präzision, Durchhaltevermögen, Teamgeist – das sind alles keine Kompetenzen, die man im Hörsaal im Frontalunterricht lernt. Aber auch nichts, was durch ein Zertifikat belegt ist. New Work ist eine Facette des Arbeitslebens. Der Respekt, den ich in der Gastronomie gelernt habe – Respekt vor Leistung, vor Einsatz und vor Erfahrung – den schätze ich aber nach wie vor. In vielen Führungsdiskussionen werden nämlich unterschiedlichste Aspekte des Verhaltens von Führungskräften diffus vermischt. Die Führungskraft, die sich durch Druck profiliert, verursacht vor allem Angst. Die Führungskraft, die sich durch Wissen und Können etabliert, bekommt Respekt und Achtung. Dabei sind die Grenzen fließend und der Umgangston je nach Branche extrem unterschiedlich.
Julias Weg
Um Karriere zu machen wechselt man anfangs in kurzen regelmäßigen Abständen – so die Theorie. Hab ich gemacht: in die Mutterrolle. Vergütung und Titel: eher Fehlanzeige. Und die Erkenntnis, dass es für die wichtigsten Jobs in Deutschland gar kein Zertifikat braucht. Wiedereinstieg. Klassische Teilzeitfalle: eher wieder unten anfangen auf der Karriereleiter.
13 Jahre an der gleichen Hochschule – da meint die Karrierewelt schon, dass ich dort auch „enden“ werde. Ein Business von Null zu starten – da meint die gleiche Welt, dass ich ein viel zu hohes Risiko eingehe und das doch gar nicht mehr nötig sei.
Das was passiert, worauf ich Lust habe, woran ich glaube und wofür ich mich mit komplettem Einsatz motivieren kann – das ist meine Karriere. In jeder Kombination kann man glücklich werden und seinen Lebensweg gestalten. Unabhängig von Titeln und Teamgröße.
Doppel[t]spitze heute – unsere Key Learnings
Drei Jahre – wie schnell die Zeit verfliegt. Wir haben mit unserem Team jede Menge gelernt. Einfach machen und von Null starten – das war unsere erste Idee. Damit haben wir an unserer Fachhochschule nicht nur Jubel ausgelöst. Ein hierarchisch geführtes Team organisiert sich nicht plötzlich selbst, sprudelt kreative Ideen hervor, für die es selbst verantwortlich zeichnet. Wir machen nicht plötzlich Fehler, probieren uns aus, arbeiten anders.
Strukturen geben ja auch Sicherheit. Also haben wir heute wieder regelmäßige Meetings mit Protokoll und Teameinsätze werden, wenn nötig, auch „von oben herab“ bestimmt. Klar diskutieren wir im Team, möchten jedem gerecht werden, motivierte Ideen nutzen – aber manchmal braucht es auch einen Entscheider. Nicht immer uns, aber einen, der einen Plan hat.
Die Diskussion um doppelte Zeit = Zeitverschwendung?
Oft haben wir Diskussionen geführt. Ein Vorgesetzten-Stellvertreter-System wäre auf unserer Position erstaunlicherweise absolut normal. Es würde vermutlich gleich viel kosten – aber aus unserer Sicht viel weniger erfolgreich sein.
Reibungsverluste durch Machtkämpfe sind – so erleben wir es immer wieder – in hierarchischen Systemen an der Tagesordnung. Bei uns sägt aber keiner gegenseitig am Stuhl des anderen. Und durch die Komplexität des Teams erstaunlicherweise auch sonst niemand. Wir arbeiten beide nach wie vor vertraglich vereinbart 40 Stunden pro Woche. Aber mit einer enormen Freiheit – da wir uns durchaus gegenseitig vertreten können. Immer mit vollem Wissen, weil wir in ständigem Austausch sind. Das kommt dem Team zugute – und auch der Familie. Weil Stunden letztlich nicht mehr unsere Messgröße sind, sondern Ergebnisse, Ziele und Ideen.
Lebenslanges Lernen und Teilen
Neue Themen sind keine zusätzliche Belastung – weil immer gleich ein Austausch stattfinden kann und wir neue Projekte zu zweit durchdenken und strukturieren können. Und weil wir somit auch ein doppelter Rückhalt für das Team sein können, wenn doch einmal Angst vor Veränderung aufkommt – was in unserer komplexen Welt ja ganz normal ist.
Vertrauen ist für uns beide der Kern der Zusammenarbeit. Auch „gegen den Rest des Unternehmens“, da es uns doch auch zumindest in den Anfängen immer wieder passiert ist, dass man versucht hat uns getrennt zu erwischen, gegeneinander auszuspielen, es erst bei einem, dann beim anderen versucht hat.
Daher geht für uns auch nichts am Prinzip vorbei, Mitarbeitergespräche ausschließlich gemeinsam zu führen. Damit wir die Zwischentöne hören und auch noch aus einem ganz anderen Grund: Wertschätzung – das Team hat uns als Doppel angenommen, das möchten wir auch mit doppelter Wertschätzung zurückgeben. Nicht nur dann, wenn es um immer wieder neue Projekte und Herausforderungen geht, sondern auch, wenn es um Reflexion und Dank geht.
Gibt es Grenzen?
Die Ausrede „ihr seid ja zu zweit, dann geht nicht so viel“ können wir nach wie vor nicht akzeptieren. Da treffen New Work und alte Struktur immer wieder volle Kanne aufeinander. Passt ja ganz gut, wenn die Ausrede „das ihr zu zweit seid, kennt man im Konzern so nicht“ als Argument gezogen werden kann. Inhaltliche Gegenargumente fehlen dagegen – manchmal wünschen wir uns schon, dass die Begründung gegenüber dem Konzern da heißen würde: Das ist halt neu, aber gut!
Ein bisschen Exoten, ein bisschen New Work, vielleicht (hoffentlich) auch ein Beispiel dafür, dass es dieses „neue Management“ wirklich gibt und Führungskräfte wie Teams sich auf neue Modelle einlassen. Wir sind zwischen Selbstständigkeit und Angestelltenverhältnis auf der ständigen Gratwanderung zwischen New und „Old“ Work. Das ist gut so, denn wir erleben nicht nur eine Blase aus Bällebad, Agilität und Barcamps, sondern auch klassische Machtspiele, an denen wir neue Methoden ausprobieren und uns selbst testen können. Dieses Spannungsfeld macht New Work jeden Tag wieder neu. Perfekt, wenn wir uns so der Geschwindigkeit des Umfeldes anpassen können, wo Menschen mit Gewohnheiten oft langsamer als der technologische Fortschritt sind!
Vom Mini-Netzwerk zur Social Community
Jede Minute, jede Diskussion auch weit über „normale“ Arbeitszeiten hinaus und über alle Instanzen hinweg haben sich definitiv gelohnt. Wir sind glücklich, dass es neue Modelle der Zusammenarbeit gibt, dass wir sie kreativ mitentwickeln dürfen und dass wir uns so vielfältig darüber austauschen können. Mit einer tollen Community in den sozialen Netzwerken, aber auch in so vielen neuen Begegnungen darüber hinaus.
Dabei stellen wir immer wieder fest: Wir sind als „gemischtes Doppel“ immer noch ein Sonderfall. Das passt nicht in jede Struktur – noch nicht mal bei New-Work-Plattformen. Vorträge und Konferenzen suchen ganz oft „das eine Rolemodel“ – männlich oder weiblich, es kann ein Name angegeben werden, ein CV hochgeladen werden. Aber Neues muss sich ja immer erst seinen Weg bahnen. Daher freuen wir uns weiterhin auf die verwunderte Frage: „Macht Ihr wirklich alles zu zweit?“ Die inzwischen immer öfter ersetzt wird durch: „Ach, da sind ja die zwei!“
Ein Sonderfall möchten wir aber zumindest was die Teamkonstellation angeht nicht bleiben. Eher ein doppeltes Rolemodel – wir freuen uns über Austausch, Nachahmer und Mitdenker.
Julia Collard und Sven Schnitzler leiten als Doppelspitze die Bereiche Vertrieb und strategisches Marketing sowie die Business School der Europäischen Fachhochschule (EU/FH). Hier sind sie verantwortlich für ein Team von 40 Mitarbeitern. Daneben sind sie Gründer der Content- & Social Mediaberatung Doppel[t]spitze. Netzwerken und lernen sind ebenso Leidenschaften wie der persönliche und virtuelle Austausch von Wissen. Neben ihrer Berufserfahrung kennt Julia die Phase des Wiedereinstiegs nach der Elternzeit ebenso wie die Gratwanderung zwischen Familie und Führungsposition sowie dem idealen Zeit- und Projektmanagement. Auch Sven weiß um die Wendepunkte im Leben und ist überzeugt davon, dass es „die eine“ perfekte Karriere nicht gibt – selbst ganz unterschiedliche Berufsbilder können zum persönlichen (Karriere-)Erfolg führen.