Um erfolgreich agil arbeiten zu können, brauchen wir ein agiles Mindset. Aber wie sieht das aus? Saskia Howe ist freiberufliche Transformationsberaterin und hat Experteninterviews zu genau dieser Frage geführt. Hier beschreibt sie, was es braucht, damit Agilität gelingt.
Leere Blicke beim Daily Stand-up. Die Sprints holpern vor sich hin. Schüchterne Anpassungen alter statt der Entwicklung neuer Ideen. In Deinem Unternehmen wurden agile Methoden wie Scrum, Kanban oder Design Thinking implementiert, doch der gewünschte Produktivitäts- und Kreativitätssprung blieb bisher aus? Möglicherweise liegt dies an der Fokussierung auf die reine Methodenanwendung, statt einer umfassenden agilen Transformation. Bleibt im Unternehmen ein Denken bestehen, das aus dem Anwenden traditioneller Arbeitspraktiken und Methoden entstanden ist, werden die Ergebnisse kaum besser sein als zuvor. Stattdessen: Katerstimmung und Frust.
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Agilität erfordert mehr als nur Methodenkenntnis. Es geht nicht nur um neue Abläufe und das Aufstellen eines Kanban Boards. Mitarbeitende wie Führungskräfte müssen stattdessen die Prinzipien und Werte der Agilität vollumfassend verstehen, um ihr Handeln mit diesen synchronisieren zu können. Sie brauchen nicht nur fachliche Fähigkeiten, sondern auch eine Einstellung und Haltung, die agile Prinzipien unterstützt und diesen nicht widerspricht. Das ist, was wir das „agile Mindset“ nennen.
Das Mindset als Haltung
Als Beraterin in Transformationsprojekten, in denen es oft auch um die Einführung agiler Methoden geht, wollte ich mehr über die Charakteristiken und die Entwicklung des agilen Mindsets erfahren. Im Rahmen einer Forschungsarbeit im vergangenen Jahr habe ich sechs Experteninterviews mit agilen Coaches geführt. Diese unterstützen Unternehmen, Abteilungen und Teams bei der Implementierung von Agilität durch Training und Coaching. Den Begriff „Mindset“ habe ich übersetzt als „Haltung“ und „Einstellung“.
Um die Antwort vorwegzunehmen: Es gibt nicht die eine allgemeingültige Definition des agilen Mindsets. In allen Interviews überschneiden sich jedoch folgende Aussagen, die die Natur dieser Haltung und Einstellung durch die Abgrenzung zu traditionellen Denkweisen fassbar macht:
Das agile Mindset beschreibt einen lernorientierten und neugierigen Menschen. Da das eigene Ego im Kontext der Arbeit in den Hintergrund rückt, werden Kritik und Feedback deutlich weniger als Bedrohung, sondern vielmehr als relevante Informationen hinsichtlich des Arbeitsergebnisses bewertet. Eine Person, die ein agiles Mindset abrufen kann, weiß, dass der Informationsaustausch und die Kollaboration mit Kolleg/innen die Qualität von Arbeitsergebnissen verbessern. Jedoch bietet diese Arbeitsweise keine Sicherheit vor dem Scheitern. Vielmehr werden Fehler und Fehlentscheidungen als Teil des Arbeitsprozesses verstanden.
Wichtig ist, dass das agile Mindset kein exklusives und „richtiges“ Mindset ist. Es hat seine Berechtigung in Situationen, in denen kollaborativ, iterativ, mit nicht definierten Arbeitsergebnissen gearbeitet wird. In anderen Kontexten können andere Mindsets passender sein.
Agilität und Lernen liegen eng beieinander
Die Entwicklung eines agilen Mindsets braucht Zeit. Je nach Ausgangshaltung kann es nach Expertenmeinung mehrere Wochen, wenn nicht Monate dauern, bis Mitarbeitende und Führungskräfte ihre Denkweisen und Prämissen weiterentwickelt haben. Aber auch dann bleibt der Zustand „work in progress“, also verändert sich kontinuierlich weiter.
In den Expert/inneninterviews wurde deutlich, dass es im Rahmen dieses Prozesses sowohl Hürden als auch zuträgliche Faktoren auf individueller und organisationaler Ebene eine Rolle spielen. Was behindert die Entwicklung des agilen Mindsets? Was braucht es, damit Mitarbeitende und Führungskräfte in der Lage sind diese Einstellung und Haltung zu entwickeln?
Alle Expert/innen nannten das Verhalten der Führungskräfte als kritischen Faktor, welcher die Entwicklung des agilen Mindsets entweder begünstigt oder verhindert. Problematisch ist die – von einem Experten benannte – „Wasch-mich-aber-mach-mich-nicht-nass“-Mentalität. Führungskräfte möchten, dass ihre Mitarbeiter/innen sich verändern, aber sind möglicherweise nicht bereit sich und ihren Führungsstil anzupassen. Dabei sind Führungskräfte im agilen Kontext in einer deutlich anderen Rolle als im traditionellen Kontext. Nur wenn auch die Führungskraft selbst ein agiles Mindset entwickelt und ihren Führungsstil dementsprechend gestaltet, kann eine Entwicklung bei den Mitarbeiter/innen erfolgen und von der Führungskraft nachhaltig unterstützt werden.
Weitere Wegbereiter in der agilen Transformation können agile Coaches sein. Wenn Sie sich bei der Implementierung von agilen Methoden externe Unterstützung einholen wollen, achten Sie in den Auswahlgesprächen darauf, ob die Person die Relevanz des agilen Mindsets verstanden hat. Es sollten Ansätze genannt werden können, um die Entwicklung dieses Mindsets zu unterstützen und die Person sollte sich zusätzlich im Themenfeld „Lernen“ sehr gut auskennen. Gute agile Coaches schaffen Situationen, in denen Lernen im Fokus steht und Fehler als Wissensquelle gelten. Sie unterstützen das „Warum“ bei der Implementierung von agilen Methoden zu verstehen. Zudem sind sie eine wertvolle Quelle an Feedback sowohl für die Mitarbeiter/innen als auch für Führungskräfte.
Saskia Howe, Jahrgang 1987, arbeitet seit drei Jahren als freiberufliche Transformationsberaterin und agile Coachin für etablierte Unternehmen wie Edeka sowie für schnell wachsende Start-ups wie Infarm. Ihr Beruf macht es ihr möglich, die wechselwirkende Beziehung zwischen Handeln und Denken in Organisationen zu beobachten, zu analysieren und darauf Schlüsse für erfolgreiche Transformationsinitiativen zu ziehen. Du findest Saskia auch bei Twitter, Facebook, LinkedIn und Xing.
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Danke Saskia, dass du dem Blickwinkel der Coaches eine Stimme gegeben hast. Häufig sind solche Themen ja nur aus Manager:innen oder Mitarbeitenden Perspektive dargestellt. Der Blickwinkel der Coaches ist so wichtig, da sie diejenigen sind, die Unternehmen dabei unterstützen, sich zu verändern.
Coaches sind ja ganz nah dran an den Arbeitenden und am Tagesgeschäft, da hast Du recht – und sie sind gleichzeitig in einer Scharnierposition zwischen den Management und MA. Wichtige Perspektive, sehe ich ähnlich!
Danke für diesen Beitrag. Wir planen in unserem Unternehmen (40 Mitarbeiter) Agilität einzuführen. Was ich mich frage ist, wie geht man denn nun die Entwicklung des agilen Mindsets an? Muss man zwingend immer agile Coaches mit einbeziehen? Und was sind so konkrete erste Schritte?
Ich mag, dass Du von „entwickeln“ schreibst und nicht von „einführen“ – das deutet schon in die richtige Richtung!
Bezüglich der Entwicklung des agilen Mindsets: Ich empfehle beim Sichtbaren anzusetzen, also beim Verhalten. Implementiere agile Events und Methoden in deinem Unternehmen als ersten Schritt. Lasse die Mitarbeiter jedoch nicht damit alleine. Ein wichtiger Schritt zur Entwicklung des agilen Mindsets ist die Reflektion darüber, was diese neuen Events und Methoden mit der Zusammenarbeit machen. Was hat sich verändert? Wo haben wir das Gefühl, dass es Positives bewirkt? Wo erscheint es sinnlos oder sogar destruktiv? Ich würde außerdem empfehlen direkt mit der Gegenüberstellung vom bestehenden Mindset und agilen Mindset zu arbeiten. In welchen Arbeitssituationen wird welche Haltung sichtbar? Man kann bspw. auch auf ein konkretes Meeting zurückblicken und überlegen, wie dieses Meeting mit dem agilen Mindset anders abgelaufen wäre.
Aus meiner Erfahrung ist die Einbindung von agilen Coaches als Personen mit Außenperspektive, hilfreich. Ich kann mir jedoch auch vorstellen, dass ihr intern eine agile Taskforce aus Freiwilligen aufbaut, die sich eingängig mit Agilität und dem agilen Mindset auseinander setzen und das Wissen und die Methoden dann im Unternehmen weitergeben.