Agile Führungsmethoden sind weder „führungslos“, noch schaffen sie die Hierarchie im Unternehmen gänzlich ab, meint Tobias Hagenau von „awork“. Sie sind vielmehr die Antwort auf der Führungsebene auf die Veränderungen der Arbeitswelt – und brauchen klare Strukturen. 

Agile Führung befindet sich auf dem Vormarsch: In einer aktuellen Studie des Hernstein Management Report geben 60 Prozent der über 1.500 befragten Führungskräfte an, einen agilen Führungsstil zu nutzen. Ob das immer die “reine Lehre” ist, sei dahingestellt – aber es scheint sich zu lohnen, einen genaueren Blick auf das Prinzip zu werfen. In diesem Beitrag möchte ich mit ein paar praktischen Beispielen erklären, was wir bei „awork“ unter agiler Führung verstehen und ein paar Denkanstöße für die eigene Umsetzung geben.

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Mehr Möglichkeit zur Gestaltung

Wie im agilen Projektmanagement geht es auch in der agilen Führung ganz allgemein darum, flexibler und schneller zu werden. Es wird nicht mehr versucht, jede Eventualität und jeden Meilenstein zentral einzuplanen und zu kontrollieren. Stattdessen bauen agile Führungsmethoden auf kürzeren kollaborativen Planungszyklen auf, vergleichbar mit einer Sprintplanung im agilen Projektmanagement.

Dieser dezentralere, kurzfristigere Planungsmodus wird gelegentlich mit Führungslosigkeit verwechselt, das ist aber nicht der Fall. Vielmehr besteht die Führungsaufgabe in agilen Organisationen nicht mehr in der detaillierten Planung, sondern in der Vorgabe von langfristigen Zielen und der Organisation des davon abgeleiteten Teamprozesses. Die Hierarchie verschwindet also nicht, sie wird nur anders ausgeübt.

Mitarbeitende werden so aktiv in die Planung und Priorisierung einbezogen. Das hat viele Vorteile: Die Arbeit in agil geführten Teams ist anspruchsvoller und erfüllender, es besteht mehr Möglichkeit zur Selbstorganisation und Gestaltung. Obendrein ermöglicht die gemeinsame Themenauswahl eine bessere Identifikation des Teams mit seiner Arbeit.

Geeignete Infrastrukturen schaffen

Wie alle kollaborativen dezentralen Prozesse erfordert auch ein agiles Führungsmodell eine geeignete Infrastruktur zur Organisation – aus zwei Gründen: Um jedem Teammitglied die anspruchsvolle Aufgabe der Selbstorganisation zu ermöglichen und um Führungskräften auch weiterhin Transparenz über den Arbeitsfortschritt zu geben.

Zu einer geeigneten Infrastruktur in der agilen Organisation gehören drei wesentliche Bestandteile: die Zielübersicht, das Backlog und die aktuelle Planung.

Die Zielübersicht gibt allen beteiligten Mitarbeitenden übergreifend die Transparenz über die Prioritäten des Unternehmens, der Abteilung oder des Teams. Alle laufenden Tätigkeiten sollten davon abgeleitet werden können.

Das Backlog ist die niemals endende To-Do-Liste des Teams. Hier werden alle Themen gesammelt, die irgendwann erledigt werden müssen. Oft steht es jedem Teammitglied offen und ist somit auch die Ideensammlung der Organisation. Es wird regelmäßig sortiert, entweder zentral durch die Führungskraft (dies kann eine der wichtigsten Führungsaufgaben in agilen Organisationen sein!) oder kollaborativ im Team. In jedem Fall bietet die Zielübersicht den Maßstab zur Priorisierung.

Die aktuelle Planung wird in regelmäßigen Zyklen (von zwei Wochen in der Softwareentwicklung bis zu sechs Monaten in Strategiebereichen) aus dem Backlog befüllt. Hier wird aktiv umgesetzt und der Fortschritt dokumentiert. Nach jedem Planungszyklus findet in agilen Organisationen in der Regel eine Review des Prozesses statt, um für eine stetige Verbesserung der Methode zu sorgen.

Im „awork“-Team finden Varianten dieses Ablaufs in den unterschiedlichsten Bereichen statt: In der Produktentwicklung (“Designsprints”), im Business-Development (“Growth-Team”) und ganz klassisch als Scrum in der Softwareentwicklung.

Die Arbeit intelligent steuern

Unterschiedliche Rahmenwerke ermöglichen die agile Steuerung auch außerhalb der Softwareentwicklung. Eines der bekanntesten sind Objectives and Key Results, kurz OKRs. Sie ermöglichen das transparente Aufteilen von Unternehmenszielen bis auf die Ebene des einzelnen Mitarbeitenden.

Das OKR-Framework ist durch seinen Einsatz in der Wachstumsphase von Google, Facebook und vielen weiteren bekannten Tech-Firmen zu Bekanntheit gelangt und wird in vielen Varianten umgesetzt.

Gemein haben sie alle, dass auf den verschiedenen Ebenen des Unternehmens regelmäßig anspruchsvolle Ziele (“Objectives”) festgelegt und diese durch zu liefernde Ergebnisse (“Key Results”) ausdetailliert werden. Dies führt zu Transparenz innerhalb und zwischen den Teams eines Unternehmens und erklärt auf anschauliche Weise jeden individuellen Beitrag zum größeren Ganzen.

Die Herausforderung der Selbstbestimmung

Ein Projektmanagement-Tool stellt die Verbindung zwischen dieser übergreifenden Planung und der täglichen Organisation der Mitarbeitenden her. Es können unternehmensweite und persönliche OKRs angelegt und die Umsetzung nachverfolgt werden. Indem sowohl diese strategische Ebene als auch jedes umzusetzende Projekt mit all seinen Aufgaben enthalten ist, wird die Struktur der Arbeit sichtbar, die Auslastung des Teams kann eingesehen werden und Fortschritte sind automatisch dokumentiert.

Agile Führungsmethoden geben die Chance zu mehr Erfüllung im Arbeitsalltag, sie stellen aber auch weitgehende Erwartungen an Mitarbeitende. Ein gutes Verständnis für strategische Zusammenhänge im Unternehmen zu erreichen, erfordert Zeiteinsatz und das eigenverantwortliche Ableiten von Arbeitspaketen aus der strategischen Planung kann einschüchtern und verunsichern.

Genau hier liegt die Führungsaufgabe in agilen Teams: Mitarbeitenden den Raum, die Kompetenz und die Werkzeuge zu geben, sich soweit zu emanzipieren, dass sie mit der gewonnenen Freiheit auch arbeiten können.

Offener Umgang mit Problemen und Fehlern

Die Retrospektive ist ein fester Bestandteil agiler Organisation. Abschließend zu jedem Planungszyklus werden Verbesserungen hervorgehoben (um mehr davon zu machen) und Probleme angesprochen (um sie beim nächsten Durchlauf abstellen zu können). Auch hier gilt: Teammitglieder haben das gleiche Recht, Themen anzusprechen wie Führungskräfte aus ihrer jeweiligen Perspektive.

Ohne negative persönliche Konsequenzen befürchten zu müssen, kann so das ganze Team gemeinsam an der eigenen Organisation arbeiten. Jedes erkannte Problem kann für das ganze Team gelöst werden und ist damit eine Chance, als Team besser zu werden.

Transparenz und Sicherheit zugleich

Mein Fazit: Agile Führungsmethoden schaffen zunächst keineswegs die Hierarchie im Unternehmen ab oder machen gar Führungskräfte überflüssig. Im Gegenteil: Sie verlangen ein hohes Maß an Führungskompetenz und Feingefühl im Umgang mit der Selbstverantwortung der Mitarbeitenden. Werden agile Führungsmethoden richtig umgesetzt, steigern sie die Motivation und stärken die Eigenverantwortung.

Zur reibungslosen Umsetzung sind dreierlei Dinge notwendig: eine zentrale Zielübersicht als Wegweiser, ein Backlog als To-Do-Liste und die aktuelle Arbeitsübersicht, um Fortschritte zu dokumentieren. Das Schaffen dieser Infrastruktur ist Führungsaufgabe und erfordert geeignete Werkzeuge wie Projektmanagementtools, um Transparenz und Sicherheit zu geben.

Tobias Hagenau (Bild: Promo)

Tobias Hagenau (Bild: Promo)

Tobias Hagenau, Geschäftsführer der HQLabs GmbH und u.a. Co-Gründer von „awork“, ist Experte für Projektmanagement und dessen sinnvolle Softwareunterstützung. Er ist ein gern gesehener Gast in Podcasts oder Keynotes. Schon seit 2012 baut er mit seinem Team in Hamburg Software für die Projektarbeit. Inzwischen ist HQLabs auf über 35 Mitarbeiter angewachsen. Tobias brennt für Projekte, für Technologie und für eine moderne Art zu arbeiten.

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