„Das ganze Geld- und Lohnsystem ist so ein Kuddelmuddel, dass mir ganz schwindelig wird“, schreibt unsere Gastautorin Claudia Cornelsen. Sie zeigt in ihrem Buch zum Bedingungslosen Grundeinkommen: Das ist ein Experiment, das unsere Arbeit auf den Kopf stellt.
Es ist verrückt. Kann man leben, ohne zu arbeiten? Nein, sagen die Leute, man müsse doch sein Geld verdienen. Tja, die Leute geben die richtige Antwort, aber die falsche Begründung. Man muss nicht arbeiten, um Geld zu verdienen. Es gibt verdammt viele Menschen, die Geld verdienen – oder sollte ich besser sagen: Geld bekommen? –, ohne dass sie dafür arbeiten. Sie lassen arbeiten, andere Menschen oder einfach nur das viele Geld, dass sie schon haben.
Trotzdem kann man nicht leben, ohne zu arbeiten. Ich kenne niemanden, der das könnte. Selbst die Superreichen, die angeblich den ganzen Tag auf Segelyachten herumlungern, tun genau das eben nicht. Sie arbeiten. Und sie haben eine ziemlich coole Verhandlungsposition, um sich die Arbeit verdammt gut bezahlen zu lassen.
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Netflix, Spotify – all das ist Konsumarbeit
Manche arbeiten ehrenamtlich. Manche arbeiten, ohne es Arbeit zu nennen. Sie nennen es Leidenschaft. Sie züchten Renntiere, keltern Wein, sammeln Kunst oder schreiben Liebesgedichte. Das sei doch keine Arbeit? Was denn sonst? Wenn Arbeit nur das ist, was bezahlt wird – okay, dann arbeitet nur eine Minderheit unserer Gesellschaft. Die Mehrheit geht zur Schule, kümmert sich um Angehörige oder ist in Rente. 60 Prozent der Deutschen leben von Transferzahlungen, staatlichen oder privaten. Wird gern übersehen, wenn die Rede von „Vollbeschäftigung“ ist. Ja, beschäftigt sind wohl alle – mit Bildungsarbeit, mit sozialer, caritativer, ökologischer, politischer oder künstlerischer Arbeit.
Ich rede auch gern von Konsum-Arbeit. Denn irgendeiner muss die Chips ja auch essen, die von den Industriemaschinen geschnitten, geröstet und gewürzt werden; irgendjemand muss die vielen RTL-Shows, Netflix-Serien und Spotify-Songs ja anhören und ansehen. Konsumarbeit heißt sich einen Marktüberblick verschaffen, Angebote sammeln, Qualitätskriterien entwickeln und Preis-Leistungs-Vergleiche anstellen – und neuerdings auch noch Bewertungen schreiben oder Sterne und Likes vergeben. Das wird zwar alles nicht bezahlt, aber es gibt riesige Unternehmen, die damit unglaublich viel Geld verdienen. Würden wir die Konsumarbeit verweigern, bräche die westliche Welt zusammen wie ein Kartenhaus.
Leistungsgerechte Bezahlung?
Was hat das mit Grundeinkommen zu tun? Naja, die herkömmliche Lohnlogik wird durch solche Arbeitsformen schwer in Frage gestellt. Neuerdings überlegen datengetriebene Unternehmen wie Facebook und Google ihren Usern tatsächlich eine Art Gehalt zu zahlen; schließlich sind die vermeintlichen Konsumenten in Wahrheit die Produzenten genau der Inhalte, die jene globalen Medienunternehmen so erfolgreich vermarkten. Und wovon leben diese „Prosumer“, wie man solche digitalen Fleißbienen neuerdings nennt?
Eine leistungsgerechte Bezahlung wäre der nächste Schritt auf dem Weg zu einem künstlich intelligenten Kapitalismus: Jedes Amazon-Prime-Mitglied bekommt ein Basisgehalt und je mehr Konsum-Klicks und Likes, desto höher steigt das Gehalt. Denn jede Sekunde, die ich auf einem der Kanäle verbringe, liefere ich wertvolle Daten. Andererseits: Wer würde schon dauerhaft Serien gucken wollen, die von Robotern aufgrund von erfolgsversprechenden Algorithmen entwickelt und konstruiert wurden. Statt Innovation gäbe es dann nur noch die ewige Wiederholung des erfolgreichsten Immergleichen. Ein Albtraum.
Das Grundeinkommen als radikale Abkehr von „Leistungsgerechtigkeit“
Obgleich sich ausgerechnet im Silikon Valley das Kürzel „UBI“ – Universal Basic Income – größter Beliebtheit erfreut, ist das Bedingungslose Grundeinkommen in Wahrheit das absolute Gegenteil von dieser Form ad absurdum geführter Lohnlogik.
In Wahrheit geht es beim Bedingungslosen Grundeinkommen um Menschlichkeit, um Individualität und um eine radikale Abkehr von jeder Art von „Leistungsgerechtigkeit“, die in Wahrheit nicht Leistung belohnt oder gar ermöglicht, sondern nur nach kulturell gewachsenen, aber doch willkürlich gesetzten Kriterien in wertvoll und wertlos sortiert. Denn warum ist die Arbeit im Kindergarten oder in der Autofabrik wertvoll und dieselbe Arbeit zuhause oder in der Garage wertlos? Warum kostet die Lektüre von Twitter-Nachrichten nur Zeit, die Lektüre eines Buches aber den Ladenpreis?
Das Sozialsystem wird immer komplizierter
Das ganze Geld- und Lohnsystem ist so ein Kuddelmuddel, dass mir ganz schwindelig wird, wenn ich anfange darüber nachzudenken. Und dann noch die komplizierte Steuerwelt: Warum wird beim Kinobesuch Mehrwertsteuer kassiert, während YouTube nicht mal den Unternehmensgewinn besteuern muss? Oder der Klassiker: Warum gibt es Hunde-, aber keine Katzensteuer? Warum kostet Tiernahrung 7 Prozent und Babynahrung 19 Prozent Mehrwertsteuer?
Wir leben in Zeiten, in denen alles selbsterklärend sein soll, das Handy, die Kaffeemaschine und der Thermomix. Aber unser Sozialsystem ist so kompliziert, dass selbst die Profis nicht mehr durchblicken. Seit 1960 hat sich die Zahl der Steuerberater fast vervierfacht, die Zahl der Fachanwälte für Steuerrecht hat sich versechsfacht. Und, ja, vielleicht macht denen ihre Arbeit Freude, aber wäre es nicht schöner, wenn es eine Welt gäbe, die diese Berufe gar nicht bräuchte?
Matrix lässt grüßen!
Die Frage nach der Notwendigkeit von Arbeit stellt sich in Zeiten, in denen Roboter die Arbeit übernehmen – und zwar auch und gerade die von Anwälten und Steuerberatern – umso dringlicher. Die Panik geht um: Wenn Leben ohne Arbeit nicht möglich ist, wie leben wir dann, wenn die Automaten die Arbeit übernehmen?
Hatte man in den letzten 40 Jahren vor allem darüber nachgedacht, wie man Arbeit organisiert – Gruppenarbeit, Selbstverantwortung, Kreativität und lebenslanges Lernen – geht es jetzt nicht mehr darum, wie wir arbeiten, sondern nur noch darum ob. Übernehmen Computer die Weltherrschaft? Wird die Menschheit überflüssig? Sind wir nur noch Futter für selbstlernende Maschinen, die zwar unsere geistige Energie noch brauchen, uns aber in Kraft, Belastbarkeit und Schnelligkeit milliardenfach überlegen sind? Matrix lässt grüßen.
Was uns nicht ausgehen wird: Die Arbeit
Wer solche dystopischen Cocktails rührt, reicht dazu gern den rettenden Strohhalm „Bedingungsloses Grundeinkommen“. Die utopische Idee verkommt darin zum schnöden Kraftfutter für die Massen-Menschhaltung der futuristischen KI-Gesellschaft oder ist appetitlich aufbereitetes Whiskas für die schnurrenden Haustiere allmächtiger Roboter.
Doch so dramatisch sich solche Science Fiction erzählen lassen, so fern sind sie jeder Realität. Weder übernehmen Pepper, Siri und Alexa die Weltherrschaft, noch geht uns Menschen die Arbeit aus.
Niemand arbeitet nur um Geld zu verdienen
Was würdest du tun, wenn für dein Einkommen gesorgt wäre? Das ist die Frage aller Fragen. Der Moment, wo die Skeptiker des Bedingungslosen Grundeinkommens einlenken und sagen: Ja, ich würde natürlich weiter arbeiten! Selbstbild, Fremdbild: 90 Prozent der Autofahrer halten sich selbst für gute Autofahrer, aber ansonsten 90 Prozent der Autofahrer für schlechte. Finde den Fehler.
Wer glaubt, dass man nur arbeitet, um Geld zu verdienen, der irrt. Niemand tut das.
Denn Arbeit ist sehr viel mehr als Geld. Das ist so banal, dass ich kaum wage es aufzuschreiben. Aber im Kontext des Grundeinkommens muss ich das leider immer und immer wieder sagen.
Nichtstun ist ohne Koks kaum zu ertragen, ganz sicher
Ja, wir verrichten bestimmte Arbeit derzeit oft nur, weil wir dafür Geld bekommen. Wir erledigen sie, nicht weil wir sie gut und wichtig finden, sondern um unsere Existenz zu sichern. Aber wenn die Existenz gesichert ist, arbeiten wir trotzdem noch. Selbst die Multimillionäre, die womöglich ohne eigenes Zutun, einfach als Erbe, als Sohn oder Tochter von jemandem Vermögendem zu großem Reichtum gekommen sind, selbst sie arbeiten. Denn den ganzen Tag auf einer Segelyacht vor Monaco herumzulungern und sich vom Personal das Koks reichen zu lassen, macht unglücklich. Ist ohne Koks kaum zu ertragen.
Wir brauchen Mitstreitende, Mitmachende, Weggefährten; wir sind keine Einzelgänger, selbst Robinson Crusoe brauchte seinen Freitag. Selbst griesgrämige Eremiten haben Katze, Hund oder Esel, weil Menschen nun mal alleine nicht leben können. Und die Begegnung mit anderen ist ohne Arbeit eben nicht möglich. Manchmal ist schon die Begegnung an sich Arbeit, weil die Menschen so anders sind, das es Arbeit braucht, um ihnen zu begegnen. Sie sprechen andere Sprachen, sie denken andere Gedanken, sie haben andere Gewohnheiten. Das alles ist anstrengend und braucht aktives Tun, um es zu ertragen oder gar zu verstehen. Und selbst wenn derlei leicht fällt, dann ist die Begegnung mit Anderen nur dann schön und erfüllend, wenn wir gemeinsam etwas tun, und sei’s Holzkohle in einen Alu-Grill schütten, um darauf selbstgekaufte Hamburger zu grillen. Sich im Schlaraffenland die Tauben in den offenen Mund fliegen zu lassen, ist nur ein schöner Traum, wäre aber real ein Albtraum.
Es geht beim Grundeinkommen nicht um Geld
Und so erstaunt es nicht, dass die Einwohner von Deutschlands Grundeinkommens-Utopia – nämlich die inzwischen knapp 300 Gewinnerinnen und Gewinner von Mein Grundeinkommen – nicht nur alle weiterarbeiten, sondern es sogar erst recht tun. Mit 24 von ihnen haben Michael Bohmeyer und ich letzten Sommer intensive Gespräche geführt. Wir wollten es genau wissen, ob und wie die tausend Euro im Monat das Leben der Menschen verändert haben. Am Ende saßen wir vor so überwältigenden und zugleich überraschenden Ergebnissen, dass wir alles bisher sicher Gedachte in Frage stellten. Die wichtigste Erkenntnis: Es geht gar nicht ums Geld. Es geht um die Bedingungslosigkeit.
Gerade der Ausstieg aus der klassischen Lohnlogik – leiste erst mal dies, dann bekommst du dafür das – war der Schlüsselmoment, der bei den Menschen das Leben veränderte, und zwar radikal. Bei allen, egal ob sie reich waren oder arm, jung oder alt, obdachlos oder verbeamtet. Selbst die, die das Geld gar nicht angerührt haben, berichteten uns, dass sich durch das Bedingungslose Grundeinkommen alles auf den Kopf gestellt habe.
Und die Jobs, die angeblich niemand machen will?
Die jahrelange Freelancerin Katrin, die bislang risikoscheu von der Hand in den Mund gelebt hatte, fühlte sich plötzlich zur Unternehmerin berufen. Sie nimmt einen Kredit auf, stellt Mitarbeiter ein und gründet eine innovative Beratungsfirma. Rentnerin Traudl schaltet eine Anzeige in der regionalen Zeitung und sucht nach Menschen, für die sie biologisch kochen könnte. So beginnt sie mit 67 nochmal ein neues Berufsleben, jetzt als Köchin und Gesellschafterin eines ehemaligen Unternehmers. Christoph kündigt seinen Job im Callcenter, macht eine Ausbildung zum Erzieher. Mit Grundeinkommen findet er nicht nur eine Aufgabe mit Sinn, sondern auch seine langjährige Morbus-Crohn-Krankheit ein Ende.
Niemand hört auf zu arbeiten. Selbst die nicht, die Jobs machten, die angeblich keiner machen will: in der Mensakantine, an der Discounterkasse, im Paketshop oder in der Nachtschicht. Schlecht bezahlt, körperlich oder seelisch belastend, gesellschaftlich gering geschätzt. Ja schlimmer noch: René, sein Leben lang prekär beschäftigt und zum Zeitpunkt des Gewinns gerade arbeitslos, ist sogar willens, unbezahlt einen Job anzunehmen, um einem künftigen Arbeitgeber zu beweisen, dass er eine gute Arbeitskraft sein wird. Auch die 60-jährige Gaby, die sich bereits als Mutter und Großmutter ausgelastet fühlen könnte, arbeitet trotz der monatlichen tausend Euro weiter in ihren drei Jobs als Kellnerin, als Putzfrau und als Bürohilfe, ohne Sozialversicherungsleistungen, ohne Rentenansprüche. Sie arbeiten, aber nicht mehr um jeden Preis. René begrenzt seine freiwillige Probezeit auf einen Monat, denn länger sei das Ausbeutung. Und Gaby zeigt einem Chef, der sie jahrelang ausgenutzt und gedemütigt hat, den Mittelfinger und sucht sich einen besseren.
1000 Euro ändern den Blick und die Haltung
Selbst diejenigen geben ihre Jobs nicht auf, die eigentlich kündigen wollten – weil ihr Chef so doof war, weil ihre Kollegen sie nicht unterstützten, weil dies oder weil jenes war. Mit den monatlichen tausend Euro in der Hand änderten sie ihren Blick, ihre Haltung und vor allem die Beziehung zu den anderen Menschen.
Plötzlich können sie selbstbewusst an ihren Chef, an ihre Kollegen herantreten und Bedingungen einfordern, zu denen sie weiterarbeiten würden. Und siehe da, plötzlich ist es möglich. Grundeinkommen befreit davon, arbeiten zu müssen, und macht dadurch Arbeit erst möglich.
Bei menschlicher Arbeit geht es vor allem um den Menschen
Die Geschichten der Gewinnerinnen und Gewinner, die wir in unserem Buch „Was würdest Du tun? Wie uns das Bedingungslose Grundeinkommen verändert“ versammelt haben, geben eine völlig neue Antwort auf die eingangs gestellte Frage: Nein, wir können nicht leben, ohne zu arbeiten, aber nicht weil wir es uns nicht leisten können, sondern weil wir es nicht anders wollen. Wir arbeiten nicht aus Not, sondern aus Vergnügen.
Der Arbeitsbegriff, der sich entfremdet hatte, von Menschen nicht nur als Individuum, sondern als Mensch in der Beziehung zu anderen Menschen, kann sich in einer Grundeinkommens-Welt wieder zurecht rücken. Menschliche Arbeit wird nicht um der Sache willen, sondern um der Menschen willen betrieben. Sie wird weder verloren gehen, wenn es Maschinen gibt, die uns mühsame körperliche oder komplizierte intellektuelle Arbeit abnehmen, noch wird sie verloren gehen, wenn wir allen Menschen bedingungslos eine Existenzgrundlage schenken und ermöglichen. Die Philosophin Hannah Arendt, die uns zum „Denken ohne Geländer“ aufforderte, wusste es schon längst: Die „Vita Activa“ ist die schönste Form des Lebens, ein Leben, in dem wir in Gemeinschaft arbeiten – und zwar nicht für Geld, sondern füreinander!
Claudia Cornelsen ist Beraterin für Personality PR und Publizistin. Im Januar erschien ihr jüngstes Buch „Was würdest du tun? Wie uns das Bedingungslose Grundeinkommen verändert“. Bei mein-grundeinkommen.de kannst Du mehr dazu lesen.