Zwar erkennen viele Unternehmen die Wichtigkeit von Vielfalts-Bemühungen an, doch trotzdem tut sich viel zu wenig, kritisiert der Berater Robert Franken. Mehr noch: Die Arbeit wird den Falschen aufgebürdet. Deshalb plädiert Franken für eine neue Perspektive: Die des „Belonging“, des Dazugehörens. 

Mit Diversity aka Vielfalt in Unternehmen ist das so eine Sache. Und das liegt auch an einer recht starren Trennlinie – und diese Linie verläuft in der Regel zwischen den (wenigen) Menschen, die Vielfalt als einen wesentlichen Treiber der Transformation betrachten, und denjenigen, die Positionen innehaben, aus denen heraus sie Entscheidungen treffen könnten, die sich positiv auf Vielfalt und Geschlechtergerechtigkeit auswirken würden.

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Ziemlich viel Konjunktiv.

Besagte Entscheider – hier ist das Generische Maskulinum leider angebracht – scheinen in der Mehrzahl der Auffassung zu sein, mit „echtem Business“ hätten die Bemühungen um Diversity & Inclusion (D&I) wenig bis nichts zu tun. Daher der Konjunktiv, daher die „weitgehende Verhaltensstarre trotz verbaler Aufgeschlossenheit“, wie es Ulrich Beck einst formulierte.

Inclusion noch keine persönliche Managementaufgabe

Die beschriebene Trennlinie erklärt auch, weshalb wichtige Rahmenbedingungen, also die Gestaltung von Inclusion, bislang nicht geschaffen wurden; Rahmenbedingungen, die dafür Sorge tragen würden, dass möglichst alle Menschen in der jeweiligen Organisation Teilhabe empfinden und vor Diskriminierung und/oder Marginalisierung weitgehend sicher sein können. Man nennt das übrigens auch Unternehmenskultur.

Die Verantwortlichen für diese Rahmenbedingungen sind im Falle von D&I häufig nicht nur nicht sprech- oder handlungsunfähig – sie sind ganz grundsätzlich nicht willens, sich Inclusion zur persönlichen Managementaufgabe zu machen. Und mit den Verantwortlichen sind hier vor allem die oberen Führungskräfte und Gremien gemeint, nicht etwa die Mitarbeitenden der einschlägigen Abteilungen und Stabsstellen, wie etwa Diversity-/Frauenbeauftragte und/oder HR. Das eigentliche Problem steht ganz oben in der Hierarchie.

Für viele nur „Business-Esoterik“

Diversity scheint grundsätzlich kein Thema zu sein, mit dem sich Top-Manager/innen ab einer gewissen Karrierestufe profilieren oder auch nur identifizieren möchten. Denn dies zahlt nicht unbedingt positiv auf die eigene Position(ierung) ein. Wer sich jenseits einer gewissen Führungsebene mit Vielfalt, Geschlechtergerechtigkeit oder Inclusion positioniert, riskiert sogar den Verlust von Ansehen und Karrierechancen. Denn vielen der Entscheider/innen in Vorständen und Aufsichtsräten gilt D&I noch allzu häufig als eine Art „Business-Esoterik“. Gleichzeitig wird die nicht selten zynische Abgrenzung (hinter verschlossenen Türen) zu derlei Themen von nicht wenigen Kolleg/innen begrüßt, mindestens aber geduldet.

Ganz anders sieht es „weiter unten“ aus. Dort formiert sich Bewusstsein und vereinzelt sogar Widerstand in Form von Employee Resource Groups, Bottom-up-Initiativen und Netzwerken rund um Vielfalt, Gender und/oder LGBTIQ+. Dort hat die Beschäftigung mit den Konzepten und Themen sehr häufig einen ernsten Hintergrund: die eigene Betroffenheit im Zusammenhang mit Diskriminierung und/oder Marginalisierung. Gleichzeitig will man sich nicht mehr mit der Untätigkeit der Unternehmensleitung abfinden.

Netzwerke sind gut, aber nicht die Lösung

Das Zusammenfinden von Menschen in intraorganisationalen Netzwerken ist zunächst zu begrüßen. Gleichzeitig muss jedoch auch auf etwaige Risiken hingewiesen werden. So wird von den unterschiedlichen sozialen Gruppen, die sich in Netzwerken engagieren, nicht selten erwartet, dass sie einen signifikanten Beitrag in Form von Projektarbeit im jeweiligen Kontext leisten. Ich halte eine solche Erwartungshaltung für unlauter: Niemals sollten Menschen, die von Marginalisierung und/oder Diskriminierung betroffen sind, Arbeit in Richtung der Beseitigung der Missstände leisten müssen. Dafür ist das Management im Schulterschluss mit den einschlägigen Abteilungen und Stabsstellen zuständig.

Denn Engagement im Netzwerk wird in der Regel zusätzlich zur vertraglich geregelten Erwerbsarbeit geleistet. In einem solchen Fall erhöht das die Belastung dieser Gruppen zusätzlich, während diejenigen, die vom System bereits mit mehr oder weniger optimalen Bedingungen ausgestattet wurden, keine zusätzlichen Verpflichtungen eingehen müssen. Hier droht die Eskalation von Privileg.

Zudem können Aktivitäten verschiedener Netzwerke gewisse Spannungen zu Tage treten lassen. Mitglieder der normativen Mehrheit im Unternehmen fühlen sich mitunter regelrecht gestört oder gar bedroht von Aktivismus. An dieser Stelle fallen wichtige Entscheidungen der Organisationskultur: Privilegierte(re) Kolleg/innen können sich als „Allies“ zu Unterstützer/innen der Belange der unterschiedlichen sozialen Gruppen aufschwingen und ihre eigene Lernreise damit verbinden – oder sie verhalten sich gleichgültig, ablehnend oder gar passiv-aggressiv gegenüber entsprechenden Bewegungen, die Gleichberechtigung und Teilhabe einfordern. Damit hier kein destruktives Vakuum entsteht, benötigt die Organisationskultur klare Orientierungspunkte und tragende Werte.

Jahrelange Demütigungserlebnisse können eskalieren

Fehlt eine glaubwürdige und von Sinn und Vision der Organisation getragene Verankerung bestimmter Themen wie Diversity und Geschlechtergerechtigkeit an der Spitze des Unternehmens, entsteht eine gefährliche „Culture Gap“. Diese wird dadurch verschärft, wenn die Organisation und ihre Vertreter/innen Vorgehensweisen propagieren und kommunizieren, die das nicht halten, was sie versprechen. Die „Culture as intended“ trifft auf die „Culture as practiced.” Diese Verwerfungen können eine sehr negative Dynamik in Gang setzen, bei der die Organisationskultur zur ernsten Bedrohung für das Business wird.

Wenn diese Themen zu Konfliktpunkten werden, eskalieren zum Teil jahrelange Demütigungserlebnisse und Mikro-Aggressionen. Oft ist es dann tatsächlich der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringen kann. Wenn sich eine solche Entwicklung anbahnt, kommt häufig hinzu, dass die zu Grunde liegenden Konzepte oft nur sehr abstrakt gelebt und kommuniziert wurden.

„Diversity“ ist ein gutes Beispiel für eine solche Entwicklung. Jenseits des abstrakten Konzepts fehlt meist eine konkrete Verankerung in der Organisation, kaum eine hohe Führungskraft (jenseits der „erwartbaren“ Bereiche wie etwa HR) fungiert als Sprecher/in und Role Model für die Themen. Das wäre umso wichtiger, als es eine Übersetzung abstrakter Konzepte wie Diversity oder Intersektionalität in den Unternehmensalltag braucht: Welche konkreten Erwartungshaltungen gibt es an das Leadership, damit D&I in Wirkung kommen können? Was hat Vielfalt mit Innovation(skultur) zu tun? Oder auch: Warum und inwiefern ist Diversity Maßstab für nachhaltige Strategieentwicklung?

Belonging als Schlüssel?

Ein wichtiger Impuls in der Debatte um Diversity & Inclusion kam zuletzt von der Purpose-Community tbd*, die in einem Artikel  mit dem Titel „How much privilege is there in purpose?“ den Perspektivwechsel hin zu „belonging“ anmahnten:

„Where diversity and inclusion in the corporate context centre on the premise of problem-solving, hierarchies and othering, of management and efficiency, ‚belonging‘ will have the same goals but different motives. ‘Belonging‘ will be guided by social justice and equity. It will not deny but rather confront the painful experiences of racism, sexism and discrimination that so many people make on a daily basis, and take these as its justification, rather than a need to tick boxes or increase revenue.”

Inwiefern dieser Shift in der Perspektive auf D&I eine Reaktion auf die beschriebene oberflächliche Diversity-Debatte in Unternehmen ist, kann an dieser Stelle nicht abschließend beurteilt werden werden. Aber es ist sehr gut möglich. Denn die Aktivitäten, die von Organisationen in den Blick genommen werden, erwecken den starken Eindruck, größtenteils vorgeschoben zu sein.

Es hat sich dafür sogar ein Begriff eingebürgert: „Pinkwashing“. Damit ist ein „So-tun-als-ob“ im Kontext von Vielfalt und Geschlechtergerechtigkeit gemeint. An den wenigsten Stellen hingegen ist ein echter und damit nachhaltiger und glaubwürdiger Paradigmenwechsel zu erkennen. Stattdessen werden die immer gleichen Maßnahmen auf den Weg gebracht, die vermeintlich für Vielfalt sorgen sollen. Doch sie springen allesamt zu kurz.

Bloß keinen Statusverlust riskieren

Zuletzt wurde das Delta zwischen Intention und Impact in der Gender-Diversity-Frage in einer Studie offensichtlich. Laut der BCG-Veröffentlichung „Gender Diversity Index 2019“ erachten Chefs „das, was sich weibliche Nachwuchskräfte wünschen, um Geschlechterparität herzustellen, nicht als Priorität.“ Der Grund dafür liegt meines Erachtens nach nicht in einer grundsätzlich unterschiedlichen Auffassung bezüglich einzelner Maßnahmen. Stattdessen wollen besagte Chefs solche Maßnahmen vermeiden, bei denen sie selbst viel Mühe oder eigenen Statusverlust wittern. Man bleibt deshalb lieber bei Absichtserklärungen und delegiert berechenbare Maßnahmen an die üblichen Verdächtigen im Unternehmen. Das ist Diversity-Ping-Pong.

Belonging, also die Frage nach dem Zugehörigkeitsgefühl, greift hingegen erheblich weiter als die übliche Vorgehensweise, wonach Kultur und somit auch D&I in die Deutungshoheit bestehender Strukturen und etablierter Menschen im Unternehmen fällt. Stattdessen wird der Themenkomplex noch einmal aufgeschnürt und in eine Frage paraphrasiert: Führt das, was wir als Unternehmen tun, bei allen Stakeholder/innen zu einem Gefühl der Wertschätzung und der Berücksichtigung ihrer ganz individuellen Ansprüche?

Zum Purpose von Diversity vorstoßen

Wenn wir diesen Paradigmenwechsel in der Betrachtung von Vielfalt und ihren Wirkweisen vollzogen haben, sind wir unmittelbar beim Purpose von Diversity angelangt. Dann können wir unser Denken und Handeln auf ein gemeinsames Ziel hin ausrichten, statt – wie derzeit häufig der Fall – lediglich mehr oder weniger abstrakten Konzepten zu folgen, bei denen nie ganz klar ist, wohin sie eigentlich führen sollen.

Die Beschäftigung mit der eigenen Organisationskultur birgt eine ganze Reihe von Chancen. Wer deren Ausprägung kennt und wer eine Vorstellung davon hat, welche Unternehmenskultur für Strategie und Vision des Unternehmens nötig ist, die/der hält den Schlüssel zur zukunftsfähigen und auf alle Menschen ausgerichteten Organisation in Händen.

Robert Franken (Bild: Martina Goyert)

Robert Franken (Bild: Martina Goyert)

Robert Franken berät seit vielen Jahren Unternehmen zu Organisationskultur, Transformation und Diversity & Inclusion. Zuvor war er 15 Jahre lang für Tech- und Community-Startups tätig, zuletzt etwa als Geschäftsführer von Chefkoch.de. Er hat die Plattform „Male Feminists Europe“ mitgegründet und ist ehrenamtlicher Botschafter für HeForShe Deutschland. Robert engagiert sich als Beirat für PANDA, das Netzwerk für weibliche Führungskräfte.

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