Hendrik Epe ist angestellt und freiberuflich. Hier berichtet er, was die Corona-Krise mit ihm selbst machte. Und er erzählt auch, wie sein Arbeitgeber, eine Hochschule, mit der Krise umging – und was wir aus ihr für unser Bildungssystem mitnehmen sollten.
1. Wie hat sich Deine Arbeit durch die Krise verändert?
Da ich ja beides – angestellt und freiberuflich tätig – bin, kann ich aus beiden Welten berichten: In meiner Anstellung versuche ich trotz Home-Office und Distanz die Weiterbildungen der Hochschule am Laufen zu halten. Wir stellen gerade viel auf digitale Angebote um, sind jedoch nicht selbst die Anbieter, sondern vor allem für die Administration der Weiterbildungen zuständig. Das macht es nicht so einfach, da gerade im Bereich „Gesundheit und Soziales“ die Affinität für die Nutzung digitaler Tools nicht sehr stark ausgeprägt ist, auch wenn wir wahnsinnig viel geschafft haben. Sehr gut ist aber, dass wir als Hochschule von Seiten der IT-Infrastruktur so ausgestattet sind, dass wir unproblematisch von zu Hause arbeiten können. Das erlebe ich gerade in der Freiberuflichkeit bei der Beratung sozialer Organisationen anders: Die kämpfen oft mit der Frage, ob sie überhaupt einen Laptop zur Verfügung haben oder ähnliche Basics digitaler Arbeit.
In der Freiberuflichkeit – der Beratung und Organisationsentwicklung sozialer Organisationen – sind natürlich zunächst alle analogen Veranstaltungen weggebrochen, was für mich zunächst beängstigend war. Ich hatte für mich das Gefühl, erst in eine Phase der Erstarrung zu fallen. Danach habe ich jedoch begonnen, meine schon vorhandenen Möglichkeiten digitaler Arbeit wieder zu aktivieren. Inzwischen begleite ich einige Organisationen bei deren Krisenbewältigung. Insbesondere stelle ich fest, dass Führungskräfterunden gerne auf die Möglichkeit zurückgreifen, sich neu – auch mit Hilfe externer Begleitung – zu positionieren. Diese Begleitung macht Spaß und ist enorm zielführend, auch wenn ich mich freue, irgendwann wieder analog mit den Menschen und Organisationen arbeiten zu können.
2. Wie bist Du mit diesen Veränderungen umgegangen?
Wie gesagt: Zu Beginn hatte ich ein Gefühl der Erstarrung. Auch war ich ein wenig verwundert, wie viele Menschen in meiner (digitalen) Umgebung in Aktivismus verfallen sind. Ich reflektiere mich dann oft mit dem Schreiben von Blogbeiträgen. Herausgekommen ist zu Beginn dieser Beitrag zum Thema: Demut.
Anschließend hatte ich ebenfalls eine – gefühlt – kreative Phase. Das Ergebnis waren verschiedene Beiträge, zum Beispiel im Magazin „Changement“ sowie diverse Blogbeiträge. Außerdem habe ich meinen Podcast wieder aufleben lassen, in dem ich mit Entscheider/innen aus der Sozialwirtschaft über deren Umgang mit der aktuellen Krise spreche. Inzwischen merke ich jedoch, dass vor allem die Situation für die Kinder (ich habe drei Kinder im Alter von 6, 10 und 14 Jahren) hochgradig belastend ist. Dazu mache ich mir gerade viele Gedanken und sehe die Priorisierung der Maßnahmen in Deutschland zunehmend kritisch: Warum machen wir Freizeitparks auf, wenn die Kitas und Schulen noch geschlossen sind? Insbesondere für Kinder finanziell schwacher Familien ist die Situation zunehmend gefährlich. Das macht mir Sorgen.
3. Welchen Umgang hättest Du Dir in Deinem beruflichen Umfeld gewünscht?
Ich bin sehr frei in der Gestaltung meiner Arbeit – an der Hochschule sowie (natürlich) in der Freiberuflichkeit. In meiner Anstellung fehlt mir jedoch der Austausch über den größeren Weg der Hochschule: Wo wollen wir hin? Was lernen wir gerade aus der Krise? Wie kann es weitergehen? Was sind echte Innovationen? Womit sollten wir dringend anfangen? Womit dringend aufhören? All diese Fragen sind hochgradig relevant, brauchen aber gemeinsamen Austausch. Und der ist doch auch digital möglich!
4. Wie nimmst Du unseren Umgang mit der Krisensituation wahr?
Von der anfänglichen Hoffnung auf mehr Solidarität und Zusammenhalt in unserer Gesellschaft ist nicht mehr soviel geblieben, leider. Meine Feststellung ist, dass die Krise aufzeigt, wie individualisiert unsere Gesellschaft ist: Jeder hat seine eigene Wahrnehmung der Situation, was sich gerade wie unter einem Brennglas verstärkt zeigt. Kinder, Familien mit Kindern und insgesamt die Schwächsten unserer Gesellschaft verlieren gerade massiv.
In meinen Augen ist die Corona-Krise die zweite Krise – neben der Klimakatastrophe – die voll auf dem Rücken unserer Kinder ausgetragen wird. Meine Frage dahinter lautet: Was hält uns als Gesellschaft zusammen? Früher war das der Glaube, die Religion und die Kirchen. Die sind jedoch – gerade in der aktuellen Krise – beängstigend still. Vielleicht ist, mit Blick auf die Verschwörungsidioten, Bildung der Kitt der Gesellschaft der Zukunft? Gleichzeitig zeigt sich, dass unser Bildungssystem – von der Schule bis zur Ausbildung und Hochschule – kaum auf die „VUKA-Welt“ mit ihrer Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit ausgelegt ist. Es geht immer noch um „Wissen vermitteln“ und nicht um Lernen. Da muss sich noch einiges ändern, befürchte ich.
5. Welche Reaktion ist Dir besonders positiv im Gedächtnis geblieben?
Sehr gelungen fand ich den Hackathon „Care hackt Corona“, der, angestoßen von Ursel Wolfgramm vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg, gezeigt hat, dass es selbst in der nicht unbedingt für ihre Beweglichkeit bekannten Sozialwirtschaft gelingen kann, enorm schnell und konstruktiv auf besondere Herausforderungen zu reagieren. Für mich wurde dabei deutlich, dass es eine gemeinsame Vision braucht, um Kräfte zu mobilisieren. Das gilt für die Arbeit mit Freiwilligen genauso wie für die Frage der Gestaltung von Organisationen wie auch für unsere Gesellschaft als Ganzes: In welcher Gesellschaft wollen wir leben? In die gemeinsame Beantwortung der Frage nach der Vision lohnt es sich, deutlich mehr Energie reinzugeben.
6. Was sollten wir aus der Krise lernen und in die Nach-Corona-Zeit mitnehmen?
Ich glaube, dass wir uns mit dem befassen sollten, was uns als Gesellschaft – und das lässt sich auf Organisationen übertragen – zusammenhält: Was ist unsere Vision? Wo wollen wir hin? Welche Werte wollen wir – trotz oder gerade wegen unserer Diversität – jetzt und in Zukunft leben? Daraus lässt sich sehr viel lernen, wenn man will. Ach ja, und dann sollten wir damit beginnen, zu lernen, wie man lernt. Das hat nämlich nichts mit Wissen vermitteln zu tun.
7. Was wirst Du persönlich mitnehmen in die Nach-Corona-Zeit?
Für mich nehme ich mit, zukünftig noch stärker zu schauen, wie ich (m)einen Beitrag zur Gestaltung der Umgebung leisten kann, in der ich mich bewege: Ist das, was ich gerade tue, das Beste, was ich tun könnte, um Wirkung zu entfalten? Da muss ich noch stärker hinschauen als bislang.
Hendrik Epe begleitet Organisationen in der (digitalen) Transformation, damit (wieder) menschenzentrierte Arbeit im Mittelpunkt steht und die Organisationen damit für ihre Herausforderungen gewappnet sind. Er arbeitet zu den Themen Organisationsentwicklung, New Work und zur digitalen Transformation und begleitet Organisationen im (digitalen) Wandel, damit menschenzentrierte “New Social Work” (oder Soziale Arbeit 4.0) gestaltet werden kann und die Organisationen damit für die komplexen und dynamischen Herausforderungen einer (Arbeits-) Welt im radikalen Wandel gewappnet sind. Hendrik lebt mit seiner Frau und drei Kindern (im Alter von 6, 10 und 14 Jahren) in der Nähe von Freiburg am schönen Kaiserstuhl, war ganz ursprünglich mal Sozialarbeiter und -pädagoge, dann auch Sozial- und Bildungsmanager. Zunächst hat Hendrik in der stationären Jugendhilfe gearbeitet, ist dann in den Bereich von Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement gewechselt und arbeitet aktuell auch festangestellt an der Katholischen Hochschule in Freiburg. Außerdem ist Hendrik Mitglied im Innovationsbeirat des DiCV Essen und Mitglied im Beraternetzwerk der Allianz für Beteiligung. Mehr Informationen zu Hendrik Epe gibt es hier.
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