Andreas Ollmann und David Cummins sind Unternehmer aus Hamburg und Begleiter für digitale Transformation und Organisationsentwicklung. Hier berichten sie, wie Corona ihre Arbeit verändert hat und was sie in die Nach-Corona-Zeit mitnehmen werden.
1. Wie hat sich Eure Arbeit durch die Krise verändert?
David: Digitale und virtuelle Arbeit sind für uns selbstverständlich und technisch keine Herausforderungen gewesen – das andauernde Getrennt-Arbeiten und -Kommunizieren stellte uns aber vor neue Herausforderungen und Lernfelder: Wie schaffen wir es, unsere Bedürfnisse nach Verbindung noch zu erfüllen? Wie geben wir uns einen Rahmen für unseren (neuen) Alltag? Überforderungen durch das ständige sehr effiziente virtuelle Miteinander-Reden drohte einzusetzen.
Andreas: Genau, dem stimme ich zu. Wir haben im Unternehmen verschiedene neue Formate ausprobiert. Und natürlich eine Menge der alten Termine einfach ins Digitale übertragen – die Daily Standups zum Beispiel. Einige neue Formate, die wir sicher beibehalten werden, sind ein virtuelles Treffen des gesamten Unternehmens, bei dem es ausschließlich um unser Befinden geht – ein Termin mit dem Namen: “Was gibt es Neues und wie geht es uns?”. Dieses Meeting findet jeden Freitagmorgen statt. Außerdem haben wir die Treffen des Unternehmensführungskreises verdoppelt. Wir treffen uns jetzt zweimal wöchentlich für 90 Minuten, um im Kreis der Geschäftsführung und weiteren Führungskräften aus dem Unternehmen zu sprechen. Und jeden Freitagnachmittag gibt es für genau diesen Kreis ein reines Socialising-Treffen, bei dem wir die Woche bei einem gemeinsamen Getränk Revue passieren lassen. Ein Team bei uns hat es sich auch zur Routine gemacht, jeden Tag mit einem Check-In zu starten und ihn mit einem Check-Out zu beenden.
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2. Wie seid ihr mit diesen Veränderungen umgegangen?
Andreas: Ach, das ist ein Wechselbad der Gefühle. Wie wahrscheinlich für alle. Aber ich freue mich, dass wir eine Kultur haben, in der man das auch im großen Kreis ansprechen kann. Wir konnten zusammen Dinge ausprobieren, die uns weiterhelfen. Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg – trotz Lagerkoller und Home-Schooling-Wahnsinn, wovon wir natürlich auch alle betroffen sind.
David: Auf jeden Fall. Am meisten spürte ich die Erschöpfung, gerade in den ersten Wochen, durch die vielen virtuellen Gespräche (die natürlich wichtig waren) und durch die Unsicherheit, die uns alle natürlich belastete. Die Routinen und die Wege, die wir gefunden haben, um gemeinsam hindurchzukommen, haben uns aber sehr geholfen. Die Erschöpfungsgefühle treten nicht mehr so häufig auf, Kreativität findet immer öfter einen Raum.
3. Was hättet ihr Euch darüber hinaus gewünscht?
David: Naja, für uns gilt es nicht zu wünschen und zu erwarten, sondern auszusprechen und auszuprobieren! Was nicht funktioniert oder nicht gebraucht wird, wird nicht erzwungen, sondern es wird erneut ausprobiert oder umgedacht. Dafür muss offen darüber geredet werden können – und diese Möglichkeit hat jeder bei uns.
Andreas: Absolut! Was ich wirklich gut finde: Solche Veränderungen sind nicht Sache der Inhaber oder der Geschäftsführung. Noch nicht einmal von unserem Unternehmensführungskreis. Sondern wirklich jede und jeder ist in der Lage, Lösungsansätze vorzuschlagen und auszuprobieren. So entstehen manchmal ganz unerwartete Lösungen.
4. Wie nehmt ihr unseren Umgang mit der Krisensituation wahr?
David: Wenn ich über die Familie und die eigene Organisation hinaus schaue, würde ich mir mehr Gelassenheit und weniger Meckern wünschen. Während ich gleichzeitig das Verhalten in unsicheren Zeiten verstehen kann, ist es allerdings eigentlich eine Fortsetzung vom “normalen” Verhalten. Man kann ja alles kritisieren. Und ich wünschte mir mehr Rücksicht aufeinander! Auch wenn du nicht glaubst, angesteckt werden zu können oder daran zu sterben, halte bitte trotzdem den Abstand ein! Das kann man aber nicht pauschal für alle sagen, es gibt wahnsinnig viele Menschen, die ihre Menschlichkeit gerade jetzt stark zeigen.
Andreas: Meine direkte Bubble ist sehr verständig und verantwortlich mit der Situation umgegangen und tut das auch jetzt noch. Damit meine ich meine Familie, meine Kolleginnen und Kollegen und auch die direkten Freunde. Alle sind sehr gut informiert und verhalten sich adäquat. In einer guten Mischung aus Verantwortung im Verhalten, aber natürlich auch Sorge um sich selbst und um die persönliche Zukunft. Es wäre ja auch seltsam, wenn man gerade nicht mit Sorge auf unser Umfeld und in die Zukunft schauen würde. Es ist ja alles sehr unsicher. Dennoch überwiegt in meinem Umfeld die Meinung, dass wir als Gesellschaft mit der Situation im globalen Vergleich recht gut umgehen und auch von der politischen Führung umsichtig und fast schon agil operiert wird.
Ich fand es aber sehr interessant und gleichzeitig erschreckend zu beobachten, wie gefühlt die Stimmung in der Gesellschaft kippte. Nachdem zuerst eine sehr große Einigkeit in der Gesellschaft zu spüren war, werden jetzt wieder die Unzufriedenen lauter – vor allem in den sozialen Medien. Ich glaube, viel davon ist wieder mal professionell orchestriert von der neuen Rechten – und damit deutlich lauter als der wirkliche Anteil in der Gesellschaft. Aber ich finde es dennoch sehr bedrückend das zu beobachten. Ich hoffe unsere Gesellschaft ist ausreichend immunisiert gegen dieses Virus – der ist nämlich nicht medizinisch zu bekämpfen.
5. Welche Reaktion ist Euch besonders positiv im Gedächtnis geblieben?
Andreas: Ich fand es schön, wie schnell zum Beispiel Facebook-Gruppen gegründet wurden, in der konstruktiv und empathisch über das weitere Vorgehen diskutiert werden konnte. Viele davon gut moderiert, ohne Fake News. Wohl mit unterschiedlichen Ansichten, aber sehr wertschätzend, respektvoll und zielorientiert. Mich hat außerdem Trigema beeindruckt, die sofort ihre Produktion von Kleidung auf Mundschutze umgestellt haben. Und die klare Haltung von Dietmar Hopp, der klar gemacht hat, dass ein möglicher Impfstoff, den CureVac finden könnte, natürlich der gesamten Welt zur Verfügung stünde. Mein persönliches Highlight für manchen Abend war das Projekt „United We Stream“ aus Berlin (und mittlerweile global), die zusammen mit Arte Clubs und ihren DJs in die heimische Wohnung kamen. Und ich vergesse bestimmt gerade ganz viele andere, die man auch erwähnen sollte – denn es gab unglaublich viel Kreativität, Zusammenhalt, Unterstützung und Selbstlosigkeit an ganz, ganz vielen Stellen.
David: Ich stimme insbesondere dem letzten Punkt von Andreas zu. Ich bin in den letzten Wochen durch viele bereichernde Gespräche mit “alten” und “neuen” Partnern aus dem Netzwerk beschenkt worden. Ansonsten fällt mir zusätzlich zu den von Andreas erwähnten Menschen und Organisationen die Aufklärung und Wissensvermittlung von MaiLab ein – Mai Thi Nguyen-Kim ist schon länger als Wissenschafts-Youtuberin unterwegs, aber erst durch ihre Erklärungen zum Virus habe ich ihre Arbeit kennen- und schätzengelernt.
6. Was sollten wir aus der Krise lernen und in die Nach-Corona-Zeit mitnehmen?
David: Trotz erhöhtem Druck und Unsicherheit glaube ich, dass wir die Chance haben, mehr Gelassenheit und Leichtigkeit zu üben. Auch wenn ich persönlich nicht empfinde, mehr Zeit zu haben als vorher, glaube ich zu sehen, dass nicht nur ich, sondern viele andere Menschen mehr darüber nachdenken, was wirklich wichtig ist. Welche Gespräche, welche Tätigkeiten bringen uns weiter und wie können wir mehr kreieren und welchen Wert können wir für die Welt schaffen? Und vor allem: wie können wir das gemeinsam tun anstatt gegeneinander? Wir sitzen wirklich alle in einem Boot und das merken wir jetzt ganz deutlich.
Andreas: Dem habe ich jetzt wirklich nichts hinzuzufügen (lacht). Du sprichst mir aus dem Herzen, David!
7. Was werdet Ihr persönlich mitnehmen in die Nach-Corona-Zeit?
David: Ich persönlich habe wahnsinnig viel über Angst und Unsicherheit gelernt, was es mit mir macht und wie ich damit umgehen kann, um weiter zu lernen und zu kreieren. Ich habe gelernt, was ich und andere an Kommunikation und Verbindung brauchen – verstärkt dadurch, dass vieles, was vorher unbewusst war, einfach weggefallen ist, und nicht so leicht durch eine Kamera und ein Mikro ersetzt werden kann. Und ich finde es faszinierend, wenn wir alle im selben Boot sind, zu merken, in wie vielen Hinsichten ich selbst es wirklich gut habe und mich glücklich schätzen kann.
Andreas: Auch hier ist es bei mir ganz ähnlich, was ich gelernt habe. Was ich mitnehmen möchte: Ich möchte “hinterher” noch deutlich mehr von Zuhause (oder von ganz woanders) arbeiten als “vorher”. Denn ich habe gemerkt, wie gut das für mich eigentlich geht. Ich möchte gerne weniger reisen müssen, um Kunden oder Partner persönlich zu treffen. Denn vieles, für das wir stundenlang im Zug gesessen haben, geht halt auch gut remote. Dafür möchte ich aber mehr Zeit haben für echte Verbindungen – vielleicht mit genau den gleichen Menschen. Aber wenn wir uns nicht für eine Präsentation treffen müssen, können wir uns vielleicht zu einem Workshop zur Co-Creation treffen. Oder auch einfach nur um uns für zwei Stunden zu unterhalten – denn wir alle sparen ja Zeit. Die könnten wir doch reinvestieren – in Qualitätszeit. Nicht nur privat, sondern eben auch beruflich.
Andreas Ollmann und David Cummins sind beide Geschäftsführende Gesellschafter der Hamburger Ministry Group. Das inhabergeführte Beratungsunternehmen schafft Synergien zwischen Technik, Kommunikation und Organisationsentwicklung. Gemeinsam mit Partnern aus dem Ministry-of-Worklife-Netzwerk begleiten sie Unternehmer, Führungskräfte, HR- und Change-Teams bei den Themen Leadership, Lernen, Mindset, Kollaboration sowie Strukturen und Systemen zur Entwicklung einer “Learning & Creating Organisation”. Im Rahmen des von ihnen gegründeten Netzwerks bieten die New-Work-Experten Vorträge, Beratung und Coaching, Masterclasses, Seminare und Learning Journeys sowie Netzwerk-Veranstaltungen und die New Work Future Konferenz an. Darüber hinaus haben die beiden Entrepreneure 2014 das gemeinnützige Projekt der Hacker School ins Leben gerufen, um junge Menschen für das Programmieren zu begeistern.
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